Aris Kalaizis

Die wesentlichen Dinge liegen im Verborgenen

Jan Siegt bes­chreibt in diesem Künst­lerge­spräch den Leipzi­ger Maler Aris Kala­izis als ein­en kryptischen Maler, der mit for­m­aler Strenge, gegen den gnaden­losen Dekon­struk­tion­szwang der Mod­erne auf­begehrt. In diesem Inter­view wird deut­lich, dass sein Anlie­gen nicht auf Enträt­se­lung oder Entza­uber­ung beruht

Aris Kalaizis in der maerzgalerie Leipzig
Aris Kalaizis in der maerzgalerie Leipzig

Siegt: Nach einem gängigen, unter Verehr­ern wie Ver­ächtern gleich­er­maßen ver­breit­eten Vor­ur­teil, betracht­en wir hierzu­lande Malerei unter dem Blick­winkel des ‚Real­is­mus’, als ob ein Bild geradewegs auf eine gegebene Anschauung gegrün­det wer­den kön­nte. Darf ich Sie ohne Umsch­weife bit­ten, etwas über ihr Selb­stver­ständ­nis von Malerei zu berichten?


Kala­izis: Allein die europäis­che Bildtra­di­tion zeigt, ein­mal ganz abgese­hen von dem abweichenden, plat­ten Real­is­muskonzept des 19.Jahrhunderts, dass Malerei eine erfundene Real­ität ist. Dav­or und danach ist dies immer klar gewesen. Ob man nun fig­ur­at­iv arbeitet oder nicht, Abstrak­tion oder die Fähigkeit zur Abstrak­tion, soll­ten unent­behr­liches Rüstzeug sein.


S: Ich frage, weil das Prob­lem der Reduk­tion, des Aus­s­par­ens und Weglas­sens von zen­t­raler Bedeu­tung ist. Kön­nte man sagen, dass der Prozess der Abstrak­tion, der Ver­ein­fachung dient?


K: Ich glaube schon, wenngleich ich die Rein­heit und Klar­heit des Hin­ter­grundes benötige, um den keineswegs so klar­en Szenari­en ein­en Halt zu geben. Ich benötige die per­spekt­iv­is­che Ord­nung des Raumes, die Interak­tion von Farbe, die den Geb­rauch ein­er strikt begren­zten Palette in sich schließt.


S: Ließe sich dem­nach behaupten, dass die wahrnehmende Beo­bach­tung ergän­zt wer­den muss, durch eine kon­strukt­ive Einbildungskraft?


… ein funk­tioni­er­endes gegen­ständ­liches Bild kann jedoch niemals ohne Abstrak­tion auskommen


K: Ja unbedingt! Jedoch brin­g­en auch Sie in Ihr­er Frage ein allge­meines Miss­ver­ständ­nis zum Aus­druck, als ob zwis­chen Gegen­ständ­lich­keit und Abstrak­tion ein schi­er unüber­brück­barer Gegensatz bestünde. Ein abstraktes Bild kann natür­lich ohne Gegen­ständ­lich­keit aus­kom­men, ein funk­tioni­er­endes gegen­ständ­liches Bild jedoch niemals ohne Abstraktion.


S: Viele Leute hal­ten Abstrak­tion heutzutage für etwas Entrücktes. Gerade so, als bedeute allein der Begriff schon, kein­en Lebens­bezug zu haben, als sei Abstrak­tion in ein­er Sphäre aus­bleibend­er Ver­bind­lich­keiten angesiedelt. Sie sind ander­er Mein­ung und viel­leicht kön­nten Sie das ein wenig erläutern?


K: Erst kürz­lich sah ich in ein­er entset­z­lichen Aus­s­tel­lung ein exem­plar­isches Bild: In jenem Bild, ein­er Malerei, war ein som­mer­lich­er Garten zu sehen. An ein­er stat­t­lichen Anzahl von Bäu­men hin­gen unzäh­lige Äpfel oder Orangen. 
Vor diesen wie­der­um, etwa in Bild­mitte, war ein Tisch mit ein­i­gen Stüh­len abgebildet. 


An jenem Tisch war ein Spaten gelehnt und auf einem der Stühle befand sich gar eine Rosenschere. Auch trat in jenem Bild ein Mann auf, der fest entschlossen schi­en auf den Betrachter, also auf mich, loszuge­hen. Nicht genug, dass der Kerl eine Fed­er im Hut trug, er trug auch ein­en Akten­kof­fer und aus jenem Kof­fer lugte auch noch der Titel eines Buches, fein gemalt, hervor. 
Obwohl dieses Bild in sein­er Aus­führung mit ein­er nicht zu leugn­enden handwerk­lichen Solid­ität gemalt wurde, war es ein schlecht­es Bild.

Aris Kalaizis "Arbogast" (2003)
Aris Kalaizis "Arbogast" (2003)

S: Sie kom­men dem­nach mit einem Gegenbeispiel?


K: Weil in jenem Bilde, und es gibt ja viele dieser let­zt­lich dum­men Bilder, die Dinge nur bes­chrieben wer­den, eins nach dem ander­en, ohne das sich eine Not­wendigkeit auftut. Die Not­wendigkeit ein­iges dar­zus­tel­len, anderes weg­zu­lassen ist eine Frage des Bewusst­seins oder, tech­nis­cher gesprochen, des mensch­lichen Prozessors. Wie gut aber ein Bild ist, dass beur­teile ich an den Zwis­chen­räu­men des schein­bar Bedeut­samen, Vordergründigen. 


…wie gut aber ein Bild ist, dass beur­teile ich an den Zwischenräumen


Der Zwis­chen­raum ist eben­bürtig und beans­prucht dem­nach dies­elbe Konzen­tra­tion. Die gleich­wer­tige Aufführung von Din­gen, im Sinne ein­er homo­gen­en Bes­chreibung, möge Sie noch so gut aus­ge­führt sein, ist ermüdend und zeigt, dass der Bildautor im eigen­en Méti­er zu kur­ze Beine hat, weil er nicht imstande ist, in großen Sch­rit­ten zu denken.

Aris Kalaizis "The Ideal Crash" (2002/03)
Aris Kalaizis "The Ideal Crash" (2002/03)

S: Dies hängt ver­mut­lich dam­it zusam­men, dass ein­ige Künst­ler ein Kri­teri­um sehen wollen, welches dem Grad der Ähn­lich­keit ihr­er Abbilder ents­prechen will.


K: Das sehe ich auch so. Dabei ist das Abbilden eine bloße Kun­st­fer­tigkeit, die mein­er Mein­ung noch nichts mit Kunst zu tun hat. Auch bin ich gegen eine Malerei, die ihren Wert nur an der Ken­nbarkeit fest­macht. Ich bin gegen eine Malerei des bereits Vorhanden­en, gegen das Bild­nis, gegen eine unfiltrierte Land­schafts­malerei, wenn Sie so wollen gegen die ges­amte Palette des „som­mer­lichen Gartens”. 


Wäre es nicht ein geschickter­er Geb­rauch, wenn man den Gegen­stand manip­uli­er­end macht und somit eine andere Situ­ation her­stellt, die etwas irrit­i­er­endes in sich trägt. Ich kann etwas ein­zuwenden haben und gleichzeit­ig so und so viel dav­on genießen. 
Das ist mein ständiges Opponier­en eben, ein wider­sprüch­liches Suchen nach ein­er Klavi­atur, welche die hohen und die tiefen Töne ver­eint. So wie ich nach mein­er Kind­heit immer eine Lust hatte, jeden, der so ganz bedeu­tend zu reden begin­nt, zu unter­brechen und irgendein­en Schwachsinn zu erzäh­len, so hab ich das auch später für mich ben­utzt und in das Malen mit hinüber genommen. 


S: Ihr Ehrgeiz war es ohne­hin nie, eine nachprüf­bare Real­ität wiederzugeben, son­dern eine Real­ität zu erschaf­fen, die sug­gestiv genug ist, um ihre Über­prü­fung ent­behr­lich zu machen. Etwaige Übere­in­stim­mun­gen mit der Wirk­lich­keit ihr­er Schauplätze erschein­en dah­er eher belanglos. 
Aber ich möchte den­noch auf Ihre Aus­sage zurück­kom­men, won­ach dem wahren Kunstwerk eine Irrit­a­tion, eine Unfer­tigkeit innewohnt, die jen­seits der Plaus­ib­il­ität und Ver­nun­ft ist. 
Nun kenne ich Sie ein­ige Zeit und weiß, wie lange Sie an einem Bild labor­i­er­en. Ich will dam­it sagen, dass ein gewis­s­er Per­fek­tion­is­mus sich ja nicht leugnen ließe, aber steht Ihre Behaup­tung von der Unfer­tigkeit eines Werkes, nicht im Gegensatz zu dem Bestreben, ein vollkom­menes Bild zu schaffen?


Es gibt nur Kunst und Nichtkunst


K: Zun­ächst glaube ich nicht, dass es so etwas wie ein „wahres Kunstwerk” gibt. Es gibt nur Kunst und Nichtkunst. Das abso­lute Kunstwerk ist natür­lich eine reine Illu­sion, wun­derbar und durch nichts zu erreichen. Anstreben soll­te man es dennoch!


S: Man muss es wollen? 


K: Ja, unbedingt! Man muss es wollen. Wenn man es nicht will, hat man schon ver­loren. Die Zeit ver­lei­ht den Din­gen doch ihre Korrekturen.


S: Sie haben eine Absicht, was aber wirk­lich geschieht, entsteht erst beim Arbeiten. Und das, was geschieht, bestim­mt alles Weit­ere. Sie sprac­hen vorher von der Gleichberech­ti­gung des Zwis­chen­raumes und ich möchte Sie fra­gen, ob sich behaupten ließe, dass Malerei eine Frage von Gewich­tun­gen inner­halb des Bild­formats sei?


K: Sich­er kann man das nicht als Grundge­setz für jede Malerei gel­tend machen, trotzdem spüre ich die Richtigkeit der Aus­sage. Ja, wenn Sie so wollen, Malerei ist eine Art Gewich­theben ungleich­er For­men und der Maler, ein Machtver­teiler zwis­chen den Kräften Denn mit jeder gemal­ten Form werde ich doch vor neue Fra­gen ges­tellt und habe im Laufe des Prozesses, diese zu beantworten.

S: Beim Betracht­en großer Werke hat man oft den Eindruck, als sei der Künst­ler im Moment des Entstehens, im Zus­tand der Unken­nt­nis gewesen. Alles was er tat, schi­en vom Instinkt getrieben, so als ob der Künst­ler jen­seits der Ver­nun­ft arbeitete. Früh­er haben sie ein­mal erwäh­nt, „…man muss nur warten, bis sich Gott in ein­en hinein versen­kt”. Aber ganz konkret, wo ist eigent­lich der Punkt, an dem Sie entscheiden, wie ein Bild vor­an­getrieben wird?


K: Nun, das ist ein kom­pliz­iert­er, schwi­erig auf ein­en Punkt zu brin­g­ender Prozess. In meinem Falle ist die Entscheidung, wie ein Bild zu beginnen ist, ein dem Malen weit­ge­hend vorgel­a­gert­er Prozess.


S: Sie arbeiten nicht nach Zeich­nun­gen oder Skizzen?


K: Nein, niemals. Oft sind es ja unauffäl­lige Orte die mir ohne­hin ver­traut sind, die irgend­wann ein­mal, wie aus heit­er­em Him­mel den Grundstock, die Fas­sade für die weit­ere Arbeit bilden. Mein Aus­gang­spunkt ist ja nie Vor­fall oder ein Ereignis, son­dern immer ein Ort. Für mich sind die Orte ja die Räume, die Begren­zun­gen, die erst die Ereign­isse hervorbringen.


S: Können Sie ein Beis­piel geben?


K: Woche für Woche ging ich an ein­en der vielen Fab­rikinnen­höfe im Leipzi­ger Süden entlang und empfand zun­ächst nichts Auffäl­liges. Wenn ich ehr­lich bin, fällt es mir auch schwer im Nach­hinein Rechenschaft abzule­gen. Auf jeden Fall muss dieser Hin­ter­grund, den ich im Bild „Die große Hoffnung” weit­erver­arbeitete ein Ini­tial aus­gelöst haben. Ich ima­ginierte jenes Bild in seine Flächen ganz abstrakt, fer­tigte ein Foto und nahm es mit ins Atelier. Ich wusste zu diesem Zeit­punkt noch nicht, wie es weit­erge­hen würde.


S: Dann haben Sie auf eine Kon­struk­tion gewartet?


K: Gewar­tet? Die wird herges­tellt. Nur ist dies ein wirk­lich lang­wi­eriges kon­stru­ier­en. Dann gehe ich eher wie ein Regis­seur bei der Aus­arbei­tung ein­er Momen­tauf­nahme her­an mit dem Wis­sen, dass ein Ver­trauen da ist, dass sich im Malen Erken­nt­n­isse ergeben, an die man im Vor­satz über­haupt nicht gedacht hat. 
Es sind ja immer zwei Dinge, Kon­struk­tion und Hoffnung, dass sich das Ziel­b­ild in der Arbeit über ein­en Umweg ergibt. Da gibt es natür­lich Weg­zeichen, da hab ich mich veri­r­rt und bin irgend­wo hingekom­men, wohin ich gar nicht wollte. 
Aber eins weiß ich mit­tler­weile auch, dass man sich ohne die bekan­nten Struk­turen nicht auf den Weg machen kann.


Mein Aus­gang­spunkt ist ja nie Vor­fall oder ein Ereignis, son­dern immer ein Ort. Orte sind Begren­zun­gen, die erst die Ereign­isse hervorbringen


S: Eben woll­te ich nach der Not­wendigkeit von Foto­grafi­en fra­gen, aber das brauche ich jet­zt nicht mehr. Sie rein­i­gen also den Ort, machen ihn bege­hbar und somit zum bewohn­bar­en Ort. Trotzdem hat es den Anschein, als sei­en Ihre Orte, Szenari­en ein­er unheim­lichen Heimat. Die Präzi­sion der Aus­führung ver­leitet dazu, sich schein­bar sich­er zu fühlen. 
Später erst spürt man das unsichere Fun­da­ment, indem es zu wack­eln begin­nt. Sie machen zwei Sch­ritte vor­an und ein­en zurück…


K: …zur Seite. Aber ich würde trotzdem zun­ächst auf die von Ihnen zurück­gezo­gene Frage, war­um Foto­grafie, zurück­kom­men. Foto­grafie war mir bereits vor Antritt meines Stu­di­ums eine Mög­lich­keit, meine Malerei zu ver­wirk­lichen. Ich ver­wen­dete Foto­grafi­en bereits sehr früh, zun­ächst gar nicht als Konzept, son­dern aus Gründen der Unvollkom­men­heit. Ich besuchte eigens die hiesige Schule und erlernte den Beruf des Fotolabor­anten – um meinem Unver­mö­gen zu begegnen, schuf ich let­zt­lich meine eigen­en Abzüge. 
Die Ana­tomie eines Hundes kan­nte ich dam­als wie heute nicht. Ein Foto bot mir aber die Mög­lich­keit, ein­en Anschein auf Ken­nt­n­isse der Ana­tomie zu ver­mit­teln. Dinge, auf eine mir ents­prechende Weise dar­zus­tel­len, dass können Sie mir glauben, dazu habe ich viel zu lange geb­raucht, wie über­haupt ich gestehen muss, ein ziem­lich­er Spätzünder zu sein. 
Natür­lich gibt es auch das Bild, dass der Schnellzeich­ner gekon­nt liefert. Aber das woll­te ich nie! Das Foto gibt mir die nötige Dis­tanz, das Ges­amtding unge­hindert im Bewusst­sein zu halten.


S: Ich habe ja schon nach dem Ort gefragt, weil er nicht nur der Erfind­ung Raum gibt, son­dern nach meinem Eindruck, als unver­wech­sel­barer Ort erhal­ten bleibt. 


K: Wun­derbar! Unver­wech­sel­bar, dass ist meine Ambi­tion. Ein­en Ort, ein­en Schauplatz zu haben, wo man das Gefühl hat, da kön­nte sich was ereignen.


S: Die Per­son­en Ihr­er Inszen­ier­ungen bleiben, obwohl gemalt, sehr nahe am Foto. Über­höhun­gen oder Überzeich­nun­gen ein­zel­ner Sujets, wie wir sie aus der Malerei kennen, schein­en Sie nicht zu interessier­en. Ist es ein Irrtum anzun­eh­men, dass ein express­iver Ges­tus Sie nicht interessiert?


K: Sie müssen in Betracht ziehen, dass alleine die Vorbereit­ung für ein ein­ziges Bild den Zeitrah­men des eigent­lichen Malens über­steigen kann. Das heißt: jedes Ding, jedes noch so unwichtige Detail, erhält den von mir einger­äumten Platz. Allein die Dram­at­ur­gie des Bildauf­baus, die Kom­pos­i­tion der Bildebene sow­ie die dosierte Ver­wendung des Far­bgeb­rauchs, erfordert mir zu viel Konzen­tra­tion, als dass ich mich noch zusätz­lich auf ein­en malerischen Impuls ein­lassen kön­nte. Ich wäre sch­licht über­fordert. Auch scheint mir, dass eine express­ive Beschaf­fen­heit für diese Art Malerei nicht geeignet wäre.


S: Es ist ja auch ver­mut­lich so, dass die Prot­ag­on­isten Ihr­er Bilder keine beliebi­gen Menschen sind und insofern keine weit­er­en Überzeich­nun­gen des Aus­drucks bedürfen. 


K: Ja, natür­lich sind sie nicht ganz zufäl­lig auf mein­en Bildern, wenngleich sie alles­amt enga­gierte Laien aus dem weit­er­en Bekan­nten­kre­is bis hin zum klein­en Fre­un­deskre­is sind. Da fin­d­et sich gele­gent­lich der Malerkollege, der Recht­san­walt, der Musik­journ­al­ist, das Gogo­girl usw. Die ein­zige Schwi­erigkeit besteht ja nur dar­in, den zun­ächst für alle komis­chen Zus­tand zu über­winden um sich ein­en Moment lang sein­er Sub­jekt­iv­ität zu entledigen.


S: Die theat­ral­is­chen Gesten Ihr­er Fig­uren sind für mich wie Chif­fren mod­ern­er Kom­munika­tion, so als ver­weis­en sie auf Bez­iehun­gen zuein­ander. Wir haben vorher über den Ort als äußer­en Anlass gesprochen. Sie haben sich selbst ein­mal als ein­en „Fil­ter” zwis­chen ein­er äußer­en Real­ität sow­ie ein­er ent­wor­fen­en Real­ität bezeich­net. Hät­ten sie etwas ein­zuwenden, wenn man behaup­tete, eine weit­ere mög­liche Ents­prechung für ihren „Fil­ter” ist der innere Ort?


K: Zweifel­los. Diesen inner­en Ort, wie sie sagten, den kann ich, den muss ich bestim­men. Ist er ein­mal bestim­mt, bekom­men die Fig­uren ihr Heim.


S: Wie zeigt sich, ob die beiden Orte zusam­menge­b­racht wurden?


K: Wenn ein­er sich selbst gegenüber streng genug ist, dann weiß er bereits nach kürzester Zeit, ob das Bild sein­en Weg nim­mt oder nicht. Das ist viel­leicht so eine Art instinkt­bezo­gene Entscheidung. Wis­sen wann es genug ist, dann gilt es aufzuhören. Man kann es am Ger­äusch eines Gefäßes beim Einsch­en­ken hören. Wenn der Ton heller wird, ist es ange­b­racht, die Angele­gen­heit bess­er zu beenden.

Aris Kalaizis "Der Besuch" (2001)
Aris Kalaizis "Der Besuch" (2001)

S: Dies ist nun unser drittes gemein­sames Gespräch und ich kann völ­lig wert­frei sagen, Sie haben sich immer ver­ändert. Eines jedoch zog sich wie ein seiden­er Faden bis zum heut­i­gen Tag: Die Serie. Sie haben oft in Seri­en gearbeitet. Hängt dies viel­leicht dam­it zusam­men, dass Sie jedes Bild in fortwährender Ver­än­der­ung, in sich ver­ändernden Sequen­zen sehen? Mir fällt in diesem Zusam­men­hang auf, dass ich in unser­em ersten Gespräch 1997 bereits eine Par­al­lele zum Film sah, die ich heute in ein­er noch stärker­en Affin­ität vorfinde.


K: Es ist wahr, in Seri­en hab ich oft gearbeitet. Gäbe es nicht dieses Hauptsys­tem der Malerei, das Ein­zel­b­ild, welches typisch ist für den indi­vidu­el­len Kapit­al­is­mus, also die Ein­zel­wohnung, direkt für den Menschen gemacht, der sich das kauft und hin­hängt, gäbe es all diese Struk­turen nicht, ich glaube, ich würde mehr in Seri­en arbeiten. Die Absicht in Seri­en zu arbeiten, stand jedoch nicht immer am Anfang. Sehen Sie, als ich mit der Arbeit zum Zyklus „The Ideal Crash” begann, trat ich zun­ächst an, nur ein ein­ziges Bild, jenes der allein­lie­genden Frau zu malen.
S: Was hat Sie bewo­gen, den­noch weit­ere Bilder zu schaffen?


K: Mein Antrieb war zun­ächst wie so oft, Glaube und Hoffnung… 


S :…es bess­er machen zu können?


K: Ganz recht, es bess­er machen zu wollen. So entsteht das zweite, welches sich auf das erste bez­ieht, das dritte auf die beiden vor­angegan­gen­en usw.


S: Können sich noch an die Reihen­folge erinnern?


K: Gewiss, wenngleich sie nicht in der Folge gemalt wur­den, wie sie let­zt­lich im Zyklus zu sehen sind. Auf jeden Fall gab es, wie bereits erwäh­nt, ein Bild, dass sich in mir fest­set­zte. Das ist sehr selt­sam, weil mir natür­lich stets den aus­lösenden Punkt zu erklären ein­fach unmög­lich ist. Jedoch blieb dieses erste Bild als feste Instanz im Bewusst­sein. Etwas, das spürte ich, musste ich mit diesem Bild machen, andere Bilder find­en, die ihm voraus­ge­hen oder ihm fol­gen. Das ist so eine Art lang­wi­eriges Schlum­mern, in einem Zus­tand schein­barer Ruhe und Gelassen­heit, gedei­hen die Dinge und bilden all­mäh­lich ihren Zusammenhang.


S: Das verblüf­fende Ele­ment in dem vier­teili­gen Zyklus „The Ideal Crash” ist die kon­sequente Wieder­holung des Bild­h­in­ter­grundes, die ich bis­lang nur vom Film oder der Foto­grafie kan­nte. Ich erwäh­nte bereits den filmis­chen Begriff der „Sequenz” und möchte Sie den­noch direk­ter befra­gen, welche Rolle der Film für Sie spielt ?


K: Offen gest­anden habe ich wenig Ahnung vom Kino, bin demzufolge auch kein pas­sioniert­er Cine­ast. Trotzdem glaube ich, dass Malerei und Film, für mich gesprochen, zwei ganz große Erfind­un­gen sind. Den Film sehe ich der Malerei als mindes­tens eben­bürtig an, wobei das Kino let­zt­lich ein angenehmer Hort für meine Reise sein kann. Dort ver­suche ich kleine Utopi­en zu find­en, die mich in Ver­wun­der­ung set­zen können. Die filmis­che Sequenz, die Sie erwäh­nten, ist dazu da, den Raum zwar klein zu hal­ten und ihn den­noch nach außen öffn­en wollen. Wie ich über­haupt glaube, daß man nicht weit umheri­r­ren muss, um seine Sujets zu find­en. Oft sind es ja die klein­en, unauffäl­li­gen Dinge, die einem die Größe verbergen.


…dass eine mög­lichst klare Form meine Bemühung und meine Müh­sal und zugleich meine Freude ist.


S: Unwei­ger­lich kom­mt mir da der Kantsche Lebensent­wurf, vor Ort das Aus­wärtige suchend, in den Sinn…


K: …gar nicht so, weil dieser Entwurf, so wichtig er auch sein mag, nicht wirk­lich auf ein­er beteiligten Erfahrung ber­uht. Nicht weit gehen zu müssen, dass mein‘ ich eher als Durch­for­sten und Durch­stöbern im Kleinen.


S: Ver­allge­mein­ernd lässt sich behaupten, dass der Ges­tus Ihr­er jüng­sten Bilder von einem Ort gek­en­nzeich­net ist, der eigent­lich nicht zu wech­seln braucht, solange er anderes ent­deckt. Tat­säch­lich bilden die kaum sich ändernden Hand­lung­s­plätze von Bild zu Bild ein­en reich­er wer­denden Ort, der eher ein­er Land­schaft in die Tiefe als in die Weite gleicht. Von diesem Ursprung aus­ge­hend, der eher spir­alför­mig als im Kre­is zu sein scheint, bewegt sich der Kos­mos Ihr­er Bilder. Ihre Bildent­würfe, dass hat­ten wir bereits fest­ges­tellt, bedür­fen jedoch Zeit, viel Zeit und schein­en sich somit einem post­mo­d­ernen Ver­ständ­nis kon­tro­vers gegenüberzustehen. Ich möchte Sie dah­er lap­id­ar fra­gen: Was bedeutet Ihnen Geschwindigkeit ?


K: Sie mein­en Post­mo­d­erne und ein eher zögerndes Arbeiten stünden im Gegensatz zueinander ?


S: Anders gefragt: Beo­bacht­en Sie den unglaub­lichen Produk­tion­sausstoß ein­i­ger Kollegen ?


K: Ah ja, jet­zt ver­stehe ich. Natür­lich, bis zu einem gewis­sen Grad lässt es ein­en schon nicht unber­ührt. Man kann zwar diese und jene Mech­an­is­men beo­bacht­en, diese akzep­tier­en oder abwehren. Ohne jedoch eindeut­ig Stel­lung zu bez­iehen, ist man ver­loren. Wenn ich mich eben als Spätzünder bezeichne, dann dah­er, daß es zu lang gedauert hat, zu erkennen, dass eine mög­lichst klare Form meine Bemühung und meine Müh­sal und zugleich meine Freude ist.


S: Und das beden­kende Arbeiten viel­leicht auch eines ihr­er Ideale?


K: Sich­er, dieses lang­samere, bedächtige Betracht­en, was man selbst betreibt, ist sich­er meine Idealvor­stel­lung, die dann ver­mut­lich in den eigent­lichen Mal­prozess mit einwirkt.


S: Befassen Sie sich eigent­lich mit den Betrach­tungs­ge­wohnheiten derjeni­gen, die Ihre Bilder anschauen?


K: Leider ja und ich glaube es sind nicht mehr als unge­fähr dreißig Prozent, die es ver­stehen, ein Bild zu lesen. Das ist oft sehr ent­muti­gend, vor allem, weil es sehr anstrengend ist, Bilder zu malen. 
Aber das Malerei im Bewusst­sein der meisten Menschen wenig oder gar keine Rolle spielt, dass spürte ich ja eigent­lich schon als Anfänger, da brauchte ich dem­nach auch keine großen Nieder­la­gen ein­zusteck­en. Das machte mich schon früh robust.


S: Sie set­zen beim Betrachter viel voraus, dah­er die Frage. Selbst bei sol­chen Menschen, die glauben, etwas von Kunst zu ver­stehen, ist Kunst eine Sache des Geschmacks. Haben Sie nicht irgend­wann ein­mal in Erwä­gung gezo­gen, eine für viele gefäl­li­gere, ein­fachere Malerei betreiben zu wollen ?


K: Selb­stver­ständ­lich habe ich darüber nachgedacht, denn nichts ist mir ver­traut­er als Zweifel. Aber den Glauben an sich und seine Malerei zu ver­lier­en, zugun­sten eines Mehrheits­ver­hält­n­isses, ist ein hoher Pre­is, den ich nicht imstande zu zah­len bin. Man muss smart sein, um dies zu leisten, aber mir hat die post­mod­ern-spiel­erische Ironie, die ich sehr wohl kenne, nicht mehr genügt. Irgend­wann hat man Angst, die Liga der großen Maler nie betre­ten zu dürfen.


S: Aber Sie möcht­en doch sich­er, dass Ihre Bilder Gefallen finden?


K: Im Übri­gen möcht ich nicht nur ein­i­gen die Augen öffn­en, ich möchte sie auch ein­i­gen schließen. Sie müssen wis­sen: zu große Ein­igkeit ist mir ohne­hin sus­pekt. In der Unein­igkeit liegt irgend­wie auch ein Qual­itäts­be­weis. Das muss nicht zwangsläufig so sein, aber es kann so sein.


S: Sie haben in unser­em ersten Gespräch von 1997 erwäh­nt, „…dass man überzeu­gend nur das malen könne, wo einem das Herz aufge­ht oder im Gegen­teil, was ein­en erzürnt.”


K: …Ja, dass hat dam­it zu tun. 


S: Würden sie sagen, dass die Anzahl ästhet­isch sens­it­iver Menschen heute geringer ist?


K: Das weiß ich nicht. Ver­mut­lich gab es vor hun­dert Jahren dies­el­ben Prob­leme. Vor kur­zem hatte ich so eine komis­che Idee, dass die ästhet­ische Empfind­samkeit ein­er Gesell­schaft, sich an dem Ver­mö­gen zu Kleiden ablesen ließe. Das ist sicher­lich grober Unsinn und durch nichts zu recht­fer­ti­gen, aber schauen Sie sich doch an, was alles gekauft wird. Es ist egal, ob die Kleidung schön oder häss­lich ist, Hauptsache es klebt eine Marke drauf, ein Kli­en­tel, ohne Sinn für Ästhetik.


…lernte aus Bildern mehr über das Leben, über Öko­nomie, als aus all ihren Leit­sätzen und Transparenten


S: Als Sozi­ologe ist es für mich ein­fach­er zu behaupten, dass die Menschen heute unkrit­ischer sind als dam­als, dah­er mehr von der Reklameaus­sage gelen­kt wer­den als vom eigent­lichen Produkt. Den­noch würde ich gerne auf jenes Zit­at von 1997 zurück­kom­men, weil in ihm, so meine Aus­le­gung, ein Grundmotiv zum Aus­druck kom­mt, was ich gern mit dem Begriff der Liebe bezeichnen würde. Aber viel­leicht ist dies gar nicht so? 


K: Na aber, da hab ich über­haupt gar kein­en Wider­spruch. Ohne Liebe kann ein jeder im Bett lie­gen bleiben. Eine inhalt­lich noch so bedeu­tende Angele­gen­heit kann let­zt­lich form­al so bedeu­tungslos darges­tellt sein, wenn sie nicht von innen heraus erlebt wurde. 
Sie wird niemals ans­prechen und niemals Format haben. Ich kenne das natür­lich auch, wenn eine Arbeit nur äußer­lich gemacht wird, geht das Herz und die Liebe zur Sache ver­loren. Ander­sher­um kann eine banale Sache eine unglaub­liche Schöp­fung hervorrufen. 
So stand ich kürz­lich vor einem späten Rib­era und es warf mich nieder durch seine Gewalt. Aus ihm lernte ich mehr über das Leben, über Öko­nomie, als aus all ihren Leit­sätzen und Trans­par­en­ten. Das sind Ver­di­ch­tun­gen ein­er inner­en Freude! 
Kunst ist doch immer Freude, ob ich nun etwas Fröh­liches entwickle oder etwas Tra­gisches darstelle. Das ist ein wichti­ger Fak­t­or, das wis­sen Sie auch.


Aris Kala­izis, 2002 mit dem Kun­st­pre­is der deutschen Volks­banken und Raif­feis­en­banken aus­gezeich­net, ist ein­er der kryptischsten Maler unser­er Zeit. Er wird der Neuen Leipzi­ger Schule zugerech­net. (Klap­pen­text 'Brancard)


(Source: Kata­log Aris Kala­izis 'Brancard', 2003)


Foto: © Andreas Döring, (2009), Aris Kalaizis

© Aris Kalaizis 2024