Aris Kalaizis

Bin ein Hin- und Her zwischen den Polaritäten

Der Sozi­ologe Jan Siegt befragt den jun­gen Akademieab­solven­ten Aris Kala­izis 1997 in einem ersten Inter­view über Abstrak­tion, die Wichtigkeit von Polar­itäten, Inhalt und Form sow­ie den Begriff der "dynam­is­ier­ten Tra­di­tion"

Aris Kalaizis, Konstruktionen für den freien Fall, Öl auf Leinwand,185 x 670 cm, 1996/97 (Diplomarbeit)
Aris Kalaizis, Konstruktionen für den freien Fall, Öl auf Leinwand,185 x 670 cm, 1996/97 (Diplomarbeit)

Siegt: Lieber­mann hat ein­mal gesagt, Kunst bestehe dar­in, wegzulassen.


Kala­izis: Wenn er das nicht so ver­standen hat, das bereits Gemalte aus­zuspar­en durch Übermalung … 


S: Nein, nein, so ver­stand er es nicht, son­dern als Konzen­tra­tion auf das Wesentliche.


K: Ja, im Sinne ein­er Aus­s­par­ung. Hun­der­t­prozen­tige Zus­tim­mung. Dass man z.B. die sich anbiedernden Bild­vor­stel­lungen abwehrt und auf die war­tet, die dem Inner­en ents­prungen sind, wo man merkt, jet­zt ras­tet alles ein, Him­mel und Erde wer­den eins. Mach’ ich im Umkehr­schluss ein Bild, das sich nicht entwick­elt, wo ich weiß, den Sch­ritt for­mu­liere ich jet­zt aus Pan­ik auch, dann weiß ich, dass ich ver­loren bin. Gerade aber, wenn man in sol­cher Situ­ation so leicht in Angst und Pan­ik ger­ät, dann kom­men jede Menge von schein­bar­en Aus­we­gen, die sich im Laufe der Jahre anbiedern, wovon vieles Mist ist, ein­iges quält und nur manches erfreut und erquickt. Ich glaube, man muß dies alles abwehren und warten.


S: Besteht aber nicht die Gefahr, dass die Bilder ein­er zu aus­geklü­gel­ten Form­s­prache unter­wor­fen sind?


K: Die Gefahr besteht immer. Nur weiß ich jet­zt, würde ich dieses oder jenes Bild mit äußer­stem Ein­satz weit­er machen, müsste ich auf­hören zu malen. Es muss ja danach weit­erge­hen. Sich nie ganz pre­is­geben, immer etwas zurück­be­hal­ten, eine Kraft; man muß ja immer ein bißchen sch­lau sein, zum Malen gehört unge­heuer viel Sch­lauheit, aber sie ist in der Tat nicht im Machen anzusiedeln, son­dern im Vermeiden.


S: Weil danach ein anderes Spiel kom­men soll?


K: … Kom­men muß, welches schon anknüpft an das, was ich gerade ver­an­stal­tet habe, aber das nicht überge­hen darf.


S: Da sonst Brüche kom­men würden?


K: Brüche kom­men natür­lich und das ist auch gut so, nur muß ich schauen, dass diese Brüche har­mon­is­cher wer­den, dass es in mir nicht in ein ständiges Auf und Ab geht. Das ist ja auch der Vorteil für den Mal­enden, daß er für die Zeit der Arbeit in seinem zer­ris­sen­en Leben eine Ein­heit zumind­est fin­gier­en kann.


S: Sie haben vor kur­zem angedeutet, es wäre wün­schenswert, das Milde, das San­fte durchzuhal­ten, was aber nicht Ihr­em derzeit­i­gen Naturell ents­pricht. Ginge es nicht, die Natur ein­fach schön dar­zus­tel­len, oder müßte ein Konter­bild hereinkom­men, welches das Idyll zerstört?


…not­wendige Har­mon­is­ier­ung von Brüchen


K: Die Kon­f­likt­situ­ation eben.


S: Die Kon­f­likt­situ­ation wodurch?


K: Die Kon­f­likt­situ­ation durch mich, als Teil mein­er Phys­is. Ich bin ja im Grunde ein Hin und Her zwis­chen den Polar­itäten und auch kein allzu har­mon­is­cher Mensch. Eine Leidenschaft zu bez­iehen aus der Abnei­gung zum Dasein, was ja immer mit­spielt, oder aus uneinges­chränk­ter Daseins­be­jahung, kön­nt’ ich nicht.


S: Das ist gerade in jünger­en Arbeiten augen­fäl­lig, dass vieles aus dem Hin und Her kom­mt, wo es eher hin­aus­läuft auf das offene, auf den Entwurf, auf den vagen Entwurf? 


K: …auf ein­en Schwebezus­tand, den Zus­tand gleichzeit­i­ger Nähe und gleichzeit­i­ger Dis­tanz, der allerd­ings, um auf Ihre Frage zurück­zukom­men, in der Form nicht vage sein darf.


S: Ist die Bewe­gung zwis­chen Ablehnung und Bejahung nicht ein ewi­ger Prozeß?


K: Ja schon, auch wenn ich spüre, es müßte auf ein Beja­hen hin­au­s­laufen, auf eine Besän­f­ti­gung, das ist aber viel schwer­er zu real­is­ier­en als ein Ablehnen.


S: Ich komme ja am besten mit Ihren Bildern zurecht, wenn ich mir sage, gegenüber diesen Bildern eine Art Hal­bgott und eine Art Hal­b­trot­tel zu sein. Hal­bgott, weil ich den­ke, es steht mir frei, mich diesen Bildern zu ent­ziehen, und ein Hal­b­trot­tel, weil ich merke, ich begre­ife sie nicht ganz. Wenngleich ich spüre, dass etwa in den “unvor­eili­gen Ver­söh­nun­gen” eine Art von Durch­spielen ver­schieden­er Schicht­en kon­sequent und in Form eines Kalküls umzu­set­zen ver­sucht worden ist. 
Das heißt, ein schiefes Bild set­zt ein, und das fol­gerichtige zweite entsteht daraus. Man kann also sagen, daß eine Art Gewebe entsteht, während es fließt, und ver­ändert während der Entstehung des ersten Bildes schon das dritte oder vierte, und das fün­fte und sech­ste weis­en wieder auf das erste und zweite zurück. Und hier finde ich gar nichts von Beliebigkeit, son­dern hier finde ich eine durch­kom­ponierte Struk­tur, die let­zt­lich merkwür­di­ger­weise zu ein­er Abwesen­heit des Ichs führt. Dieser Körp­er ist zwar immer vorhanden, aber ich finde diese Leer­stel­len des Körpers geradezu als das Faszini­er­ende. Hier ist nicht ein­er, der sagt: “Hier bin ich”, son­dern “Wo kann ich sein?”, ohne jet­zt meta­phys­isch sein zu wollen.


K: Hmm …


S: Sie brummen. Mir ist in unser­en Gesprächen aufge­fallen, daß Sie auch ungern über Bio­grafisches reden und eigent­lich viel lieber über Ihre kleine Tochter Nike reden möcht­en. Wor­an liegt das?


K: Nun, da gibt es nicht viel zu erklären. Aber ich würde schon sagen, daß meine Art von Bewusst­sein­szusam­men­hän­gen keine Trans­form­a­tion von dem ist, was Film in der Malerei sein kön­nte. Es ist viel­mehr der Ver­such, Bewusst­sein­szustände in den Griff zu bekom­men, um zu schauen, wie diese mit Bildern kooper­i­er­en. Und ich sehe im nach­hinein die Mög­lich­keit, daß das Nor­male, das eigent­lich Erschüt­ternde durch­schim­mert und zu ahnen ist. Das ist allerd­ings weni­ger meta­phys­isch als banal.


S: War­um so bescheiden?


K: Weil ich nicht die Absicht habe, in die Philo­soph­ie vorzudrin­gen, um für die Kunst ein­en Anteil von ihr­em Prob­lemkuchen zu fordern. Ich würde, für mich gesprochen, darauf behar­ren, daß die Kunst eine eigene Domäne ver­wal­tet und daß sie sich die Prob­leme, durch die sie wichtig zu sein behaup­tet, nicht bei extern­en Dis­zip­lin­en, wie etwa der Philo­soph­ie, lei­hen muß.


S: Weil sie sel­ber schon Philo­soph­ie ist.


K: Nein, weil sie, wenn Sie so wollen, die bessere Philo­soph­ie ist, da sie von dem Eingeständ­nis her zeu­gen müßte, aus dem Den­ken alleine kein­en Prozess bilden zu können.


Siegt: Nur gibt es Kunstwerke, die mit den großen Philo­sophi­en in enger Konkur­renz stehen.


K: Nicht die glück­lich­sten, wie ich finde. Ich glaube im übri­gen auch nicht, daß die Kunstwerke, von den­en ich annehme, dass Sie sie mein­en, sel­ber eine ern­stzun­ehmende Philo­soph­ie besitzen. Aber schein­bar hat unsere kleine Diskre­panz wohl eher mit der weit zurück­lie­genden Trennung von Inhalt und Form zu tun.


S: Von der Sie glauben, dass es sie nicht gibt?


K: Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall ver­suche ich jet­zt, im nach­hinein, diese schein­bare Dual­ität von Inhalt und Form zu über­winden, gewis­ser­maßen not­gedrungen, da auch ich glaubte, ich weiß da recht gut wovon ich rede, zun­ächst von ein­er inhalt­lich-them­at­ischen Ebene durch­drungen sein zu müssen, um über­haupt malen zu können. Das hat sich als ganz illusor­ischer Irrtum herausgestellt.


S: Weil Sie gemerkt haben, daß der for­m­ale Ans­pruch an das Bildge­füge gerade dann ärm­lich und schwäch­lich ist, wenn die the­or­et­ische Vor­arbeit zuviel Raum einnahm?


…Malerei ein großartiges Ange­bot, sich der Magie ein­er Schein­welt auszuliefern


K: Für ein­en, der sich von der Malerei her ver­steht, ist es eigent­lich unaus­weich­lich, wenn er die Kern­fra­gen des For­m­alen in seinem klein­en Tem­pel wal­ten läßt und sich nicht in den – neben­beibe­merkt – wieder sehr aktuel­len Wettlauf ein­läßt, welch­er sich Wirk­lich­keit nen­nt. Ich finde, die Kunst, so wie ich sie ver­stehe, hat sich der Scham­losigkeit dieses Vor­gangs, in wel­chem der Sieger immer schon fest­steht, zu ver­wei­gern und danach zu suchen, was dieses Leben übersteigt.


S: Wie taug­lich ist denn dabei ein so altes Mod­ell wie die Malerei, das Mod­ell der Leipzi­ger Schule?


K: Nun, es kom­mt natür­lich immer darauf an, wie es aus­ge­ht. Aber prin­zipi­ell, obwohl ich dieses Wort über­haupt nicht mag, bietet das Pro­jekt Malerei das großartige Ange­bot, sich der Magie ein­er Schein­welt aus­zuliefern, das wohlge­merkt zu ein­er Zeit, die von zun­ehmend­er Verding­lichung gek­en­nzeich­net ist – was das ist, kann ich im Moment nicht erklären, sch­lage vor es trotz grober Fahrlässigkeit so hin­zun­eh­men. Die Schein­welt, ja, darauf komme ich immer wieder zurück, die sich nicht mit dem Wirk­lichen anlegt, son­dern mit dem Mög­lichen. Deshalb sehe ich ja über­haupt nicht ein, weil auch in Ihr­er Frage so ein Skep­tizis­mus durch­schim­mert, der an die unzäh­li­gen Tot­sagun­gen der Malerei von vor, was weiß ich, fün­fzig oder sechzig oder noch mehr Jahren rührt, daß das Pro­jekt der Malerei sich erledigt haben soll. Dass sie wand­lungs­fähig ist, hat sie bew­iesen bis zum heut­i­gen Tag.


S: Wirk­lich­keit und Mög­lich­keit ist eine schöne Wortkom­bin­a­tion. Den­noch, hält die Suche nach dem ander­en auch dem stand, was wir unter real­istischer Kunst kennen?


K: Ich kann und will mich nicht vor diese mitunter unsäg­lich dum­men Bilder stel­len, die natür­lich auch gemalt wur­den und wer­den. Ich kann nur sagen, Malerei wird mit Farbe gemacht und nicht mit den Din­gen. Dies sage ich durchaus in Oppos­i­tion zu den­jeni­gen, die es auf die Real­ität­s­nähe anlegen.


S: Wie ist denn, viel­leicht in diesem Zusam­men­hang, Ihr Ver­hält­nis zur Tradition?


K: Jemand, der die Fülle der Erfahrbar­keiten bes­chreiben oder bess­er for­mu­lier­en will, braucht nicht zu resig­nier­en vor der Heraus­for­der­ung ein­er guten For­mu­lier­ung, auch wenn wir das Glück oder das Pech haben, in ein­er Zeit zu leben, die in diesen Angele­gen­heiten unter ein­er gewis­sen Sprach­not leidet. Dieser Sprach­not kann begegnet wer­den, in dem wir auch oder gerade die Sprache der klassis­chen Malerei noch eine Weile weit­er­führen, um in Erfahrung zu brin­g­en, welche Erfahrung, die auch wir machen können, bis auf wei­t­eres noch bess­er aus­gedrückt wer­den könnte.


Siegt: Dem­nach wäre der erweit­erte Begriff ein­er dynamis­chen Tra­di­tion zutreffender?


K: Ja genau. Sehr gut. Tra­di­tion ist Voraus­set­zung fürs Malen, aber sie gehört, um bei Ihr­er Frage zu bleiben, dynam­is­iert. Es ist ein Stand­punkt für mich, auf Tra­di­tion­en oder Über­liefer­ungen ein­zuge­hen, aber die erober­ten Posi­tion­en nicht zu wieder­holen, son­dern dav­on aus­zuge­hen, sie zu erweit­ern. Es macht auch ein­fach kein­en Sinn, als kön­nten wir uns wie aus der Pis­tole geschossen, auf die Bühne der Welt set­zen, unber­ührt von allem Dagewesen­en. Bilder, Büch­er, was auch immer, wur­den und wer­den aus ander­en gezeugt.


S: Ich würde anschließen an dem, was Sie eben über die Schwi­erigkeit, in der Welt sein­en Platz zu find­en, gesagt haben, und behaupten, dass dies auf fast allen Eben­en zu beo­bacht­en ist. Es ist ein­fach nicht mehr so, daß man aus einem Sproß her­vorge­ht und erbt. Let­zt­lich ein ziem­lich wilder, unfreiwil­li­ger Abna­belung­s­prozeß, der das merkwür­dige Lossprin­gen der Jun­gen von den Alten klären kön­nte. Bei vielen Erben reicht es besten­falls noch zur Frage nach dem Kontostand.


…Tra­di­tion ist Voraus­set­zung fürs Malen, aber sie gehört, um bei Ihr­er Frage zu bleiben, dynamisiert


K: Nun, das wer­den Sie bess­er wis­sen als ich. Ich dachte dabei eigent­lich nur an uns Kinder, die wir in ein Régime des Indi­vidu­al­is­mus wie der Kunst hineinwachsen.


S: Wie erleben Sie denn das Aufwach­sen in einem “Régime des Indi­vidu­al­is­mus”, wie Sie es nannten.


K: Ich stehe eben nicht auf einem uner­schüt­ter­lichen Fun­da­ment, son­dern drifte in einem erschüt­ter­bar­en. Hier zu sein, heißt ja auch mit­be­wegt wer­den, durch­drungen, durchtönt zu sein. Ist es wahr, dass ich rede? Bin ich es, der malt? Flüstern in mein­en Bildern nicht der Ozean oder das Feuer, die Erde, das Geschlecht, die Nation, die Geschichte? Sie sehen, ich kann darauf keine klare Aus­kun­ft geben.


S: Herr Kala­izis, ich würde Sie ja durchaus als ein­en optim­istischen Menschen bezeichnen, obwohl ich natür­lich auch weiß, daß dies nicht immer so war. Läßt Sie, abschließend gefragt, diese Hal­tung auch glauben, daß Kunstwerke irgen­det­was bewirken könnten?


K: Revolu­tion­en wer­den sicher­lich keine gemacht. Bin ja selbst jet­zt, um Sie ein wenig zu ergän­zen, nicht nur zukun­fts­froh. Alleine an ein Paradies den­ken kön­nte ich nicht. Aber alle Kunstwerke und Kul­turen haben ja im Grunde nur geschafft, dass es nicht total bes­ti­al­isch wird, nichts anderes. Daß die große Bes­ti­al­ität, die große Abgründigkeit, die in uns allen herrscht, aufge­hal­ten oder Spalt der mensch­lichen Dunkel­heit ver­stopft wird. Das Bar­bar­ische schim­mert und schim­mert und wird durch Büch­er, Bilder, Filme wieder ver­stopft. Das ist nicht geringes. Das ver­mag Kunst zu leisten. Das ist aber groß genug!

Aris Kalaizis im ersten eigenen Atelier (1997)
Aris Kalaizis im ersten eigenen Atelier (1997)

©1997 Jan Siegt | Aris Kalaizis


Jan Siegt, Sozi­ologe, lebt und arbeitet in Sindelfingen.

© Aris Kalaizis 2024