Die wesentlichen Dinge liegen im Verborgenen
Ein von Jan Siegt geführtes Gespräch über Abstraktion in der gegenständlichen Malerei, Kunst und Nichtkunst sowie über den Abgesang von Serienbildern. Darin begehrt er gegen den Dekonstruktionszwang der Moderne auf.
Siegt: Nach einem gängigen, unter Verehrern wie Verächtern gleichermaßen verbreiteten Vorurteil, betrachten wir hierzulande Malerei unter dem Blickwinkel des ‚Realismus’, als ob ein Bild geradewegs auf eine gegebene Anschauung gegründet werden könnte. Darf ich Sie ohne Umschweife bitten, etwas über ihr Selbstverständnis von Malerei zu berichten.
Kalaizis: Allein die europäische Bildtradition zeigt, einmal ganz abgesehen von dem abweichenden, platten Realismuskonzept des 19.Jahrhunderts, dass Malerei eine erfundene Realität ist. Davor und danach ist dies immer klar gewesen. Ob man nun figurativ arbeitet oder nicht, Abstraktion oder die Fähigkeit zur Abstraktion, sollten unentbehrliches Rüstzeug sein.
S: Ich frage, weil das Problem der Reduktion, des Aussparens und Weglassens von zentraler Bedeutung ist. Könnte man sagen, dass der Prozess der Abstraktion, der Vereinfachung dient?
K: Ich glaube schon, wenngleich ich die Reinheit und Klarheit des Hintergrundes benötige, um den keineswegs so klaren Szenarien einen Halt zu geben. Ich benötige die perspektivische Ordnung des Raumes, die Interaktion von Farbe, die den Gebrauch einer strikt begrenzten Palette in sich schließt.
S: Ließe sich demnach behaupten, dass die wahrnehmende Beobachtung ergänzt werden muss, durch eine konstruktive Einbildungskraft?
K: Ja unbedingt! Jedoch bringen auch Sie in Ihrer Frage ein allgemeines Missverständnis zum Ausdruck, als ob zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion ein schier unüberbrückbarer Gegensatz bestünde. Ein abstraktes Bild kann natürlich ohne Gegenständlichkeit auskommen, ein funktionierendes gegenständliches Bild jedoch niemals ohne Abstraktion.
St: Viele Leute halten Abstraktion heutzutage für etwas Entrücktes. Gerade so, als bedeute allein der Begriff schon, keinen Lebensbezug zu haben, als sei Abstraktion in einer Sphäre ausbleibender Verbindlichkeiten angesiedelt. Sie sind anderer Meinung und vielleicht könnten Sie das ein wenig erläutern?
K: Erst kürzlich sah ich in einer entsetzlichen Ausstellung ein exemplarisches Bild. In jenem Bild, einer Malerei, war ein sommerlicher Garten zu sehen. An einer stattlichen Anzahl von Bäumen hingen unzählige Äpfel oder Orangen. Vor diesen wiederum, etwa in Bildmitte, war ein Tisch mit einigen Stühlen abgebildet. An jenem Tisch war ein Spaten gelehnt und auf einem der Stühle befand sich gar eine Rosenschere. Auch trat in jenem Bild ein Mann auf, der fest entschlossen schien auf den Betrachter, also auf mich, loszugehen. Nicht genug, dass der Kerl eine Feder im Hut trug, er trug auch einen Aktenkoffer und aus jenem Koffer lugte auch noch der Titel eines Buches, fein gemalt, hervor. Obwohl dieses Bild in seiner Ausführung mit einer nicht zu leugnenden handwerklichen Solidität gemalt wurde, war es ein schlechtes Bild.
S: Sie kommen demnach mit einem Gegenbeispiel?
K: Weil in jenem Bilde, und es gibt ja viele dieser letztlich dummen Bilder, die Dinge nur beschrieben werden, eins nach dem anderen, ohne das sich eine Notwendigkeit auftut. Die Notwendigkeit einiges darzustellen, anderes wegzulassen ist eine Frage des Bewusstseins oder, technischer gesprochen, des menschlichen Prozessors. Wie gut aber ein Bild ist, dass beurteile ich an den Zwischenräumen des scheinbar Bedeutsamen, Vordergründigen. Der Zwischenraum ist ebenbürtig und beansprucht demnach die gleiche Konzentration. Die gleichwertige Aufführung von Dingen, im Sinne einer homogenen Beschreibung, möge Sie noch so gut ausgeführt sein, ist ermüdend und zeigt, dass der Bildautor im eigenen Métier zu kurze Beine hat, weil er nicht imstande ist, in großen Schritten zu denken.
S: Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass einige Künstler ein Kriterium sehen wollen, welches dem Grad der Ähnlichkeit ihrer Abbilder entsprechen will.
K: Das sehe ich auch so. Dabei ist das Abbilden eine bloße Kunstfertigkeit, die meiner Meinung noch nichts mit Kunst zu tun hat. Auch bin ich gegen eine Malerei, die ihren Wert nur an der Kennbarkeit festmacht. Ich bin gegen eine Malerei des bereits Vorhandenen, gegen das Bildnis, gegen eine unfiltrierte Landschaftsmalerei, wenn Sie so wollen gegen die gesamte Palette des „sommerlichen Gartens”. Wäre es nicht ein geschickterer Gebrauch, wenn man den Gegenstand manipulierend macht und somit eine andere Situation herstellt, die etwas irritierendes in sich trägt. Ich kann etwas einzuwenden haben und gleichzeitig so und so viel davon genießen. Das ist mein ständiges Opponieren eben, ein widersprüchliches Suchen nach einer Klaviatur, welche die hohen und die tiefen Töne vereint. So wie ich nach meiner Kindheit immer eine Lust hatte, jeden, der so ganz bedeutend zu reden beginnt, zu unterbrechen und irgendeinen Schwachsinn zu
erzählen, so hab ich das auch später für mich benutzt und in das Malen mit hinüber genommen.
S: Ihr Ehrgeiz war es ohnehin nie, eine nachprüfbare Realität wiederzugeben, sondern eine Realität zu erschaffen, die suggestiv genug ist, um ihre Überprüfung entbehrlich zu machen.
Etwaige Übereinstimmungen mit der Wirklichkeit ihrer Schauplätze erscheinen daher eher belanglos. Aber ich möchte dennoch auf Ihre Aussage zurückkommen, wonach dem wahren Kunstwerk eine Irritation, eine Unfertigkeit innewohnt, die jenseits der Plausibilität und Vernunft ist. Nun kenne ich Sie einige Zeit und weiß, wie lange Sie an einem Bild laborieren. Ich will damit sagen, dass ein gewisser Perfektionismus sich ja nicht leugnen ließe, aber steht Ihre Behauptung von der Unfertigkeit eines Werkes, nicht im Gegensatz zu dem Bestreben, ein vollkommenes Bild zu schaffen?
K: Zunächst glaube ich nicht, dass es so etwas wie ein „wahres Kunstwerk” gibt. Es gibt nur Kunst und Nichtkunst. Das absolute Kunstwerk ist natürlich eine reine Illusion, wunderbar und durch nichts zu erreichen. Anstreben sollte man es dennoch!
S: Man muss es wollen?
K: Ja, unbedingt ! Man muss es wollen. Wenn man es nicht will, hat man schon verloren. Die Zeit verleiht den Dingen ihre Korrekturen.
S: Sie haben eine Absicht, was aber wirklich geschieht, entsteht erst beim Arbeiten. Und das, was geschieht, bestimmt das Weitere. Sie sprachen vorher von der Gleichberechtigung des Zwischenraumes und ich möchte Sie fragen, ob sich behaupten ließe, dass Malerei eine Frage von Gewichtungen innerhalb des Bildformats sei?
K: Sicher kann man das nicht als Grundgesetz für jede Malerei geltend machen, trotzdem spüre ich die Richtigkeit der Aussage. Ja, wenn Sie so wollen, Malerei ist eine Art Gewichtheben ungleicher Formen und der Maler, ein Machtverteiler zwischen den Kräften Denn mit jeder gemalten Form werde ich doch vor neue Fragen gestellt und habe im Laufe des Prozesses, diese zu beantworten.
S: Beim Betrachten großer Werke hat man oft den Eindruck, als sei der Künstler im Moment des Entstehens, im Zustand der Unkenntnis gewesen. Alles was er tat, schien vom Instinkt getrieben, so als ob der Künstler jenseits der Vernunft arbeitete. Früher haben sie einmal erwähnt, „…man muss nur warten, bis sich Gott in einen hinein versenkt”. Aber ganz konkret, wo ist eigentlich der Punkt, an dem Sie entscheiden, wie ein Bild vorangetrieben wird?
K: Nun, das ist ein komplizierter, schwierig auf einen Punkt zu bringender Prozess. In meinem Falle ist die Entscheidung, wie ein Bild zu beginnen ist, ein dem Malen weitgehend vorgelagerter Prozess.
S: Sie arbeiten nicht nach Zeichnungen oder Skizzen?
K: Nein, niemals. Oft sind es ja unauffällige Orte die mir ohnehin vertraut sind, die irgendwann einmal, wie aus heiterem Himmel den Grundstock, die Fassade für die weitere Arbeit bilden. Mein Ausgangspunkt ist ja nie Vorfall oder ein Ereignis, sondern immer ein Ort. Für mich sind die Orte ja die Räume, die Begrenzungen, die erst die Ereignisse hervorbringen.
S: Können Sie ein Beispiel geben?
K: Woche für Woche ging ich an einen der vielen Fabrikinnenhöfe im Leipziger Süden entlang und empfand zunächst nichts Auffälliges. Wenn ich ehrlich bin, fällt es mir auch schwer im Nachhinein Rechenschaft abzulegen. Auf jeden Fall muss dieser Hintergrund, den ich im Bild „Die große Hoffnung” weiterverarbeitete ein Initial ausgelöst haben. Ich imaginierte jenes Bild in seine Flächen ganz abstrakt, fertigte ein Foto und nahm es mit ins Atelier. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie es weitergehen würde.
S: Dann haben Sie auf eine Konstruktion gewartet?
K: Nein, nicht gewartet. Die wird hergestellt. Nur ist dies ein wirklich langwieriges konstruieren. Dann gehe ich eher wie ein Regisseur bei der Ausarbeitung einer Momentaufnahme heran mit dem Wissen, dass ein Vertrauen da ist, dass sich im Malen Erkenntnisse ergeben, an die man im Vorsatz überhaupt nicht gedacht hat.
Es sind ja immer zwei Dinge, Konstruktion und Hoffnung, dass sich das Zielbild in der Arbeit über einen Umweg ergibt. Da gibt es natürlich Wegzeichen, da hab ich mich verirrt und bin irgendwo hingekommen, wohin ich gar nicht wollte. Aber eins weiß ich mittlerweile auch, dass man sich ohne die bekannten Strukturen nicht auf den Weg machen kann.
S: Eben wollte ich nach der Notwendigkeit von Fotografien fragen, aber das brauche ich jetzt nicht mehr. Sie reinigen also den Ort, machen ihn begehbar und somit zum bewohnbaren Ort. Trotzdem hat es den Anschein, als seien Ihre Orte, Szenarien einer unheimlichen Heimat. Die Präzision der Ausführung verleitet dazu, sich scheinbar sicher zu fühlen. Später erst spürt man das unsichere Fundament, indem es zu wackeln beginnt. Sie machen zwei Schritte voran und einen zurück…
K: …zur Seite. Aber ich würde trotzdem zunächst auf die von Ihnen zurückgezogene Frage, warum Fotografie, zurückkommen. Fotografie war mir bereits vor Antritt meines Studiums eine Möglichkeit, meine Malerei zu verwirklichen. Ich verwendete Fotografien bereits sehr früh, zunächst gar nicht als Konzept, sondern aus Gründen der Unvollkommenheit. Ich besuchte eigens die hiesige Schule und erlernte den Beruf des Fotolaboranten, und um meinem Unvermögen zu begegnen, schuf ich letztlich meine eigenen Abzüge. Die Anatomie eines Hundes kannte ich damals wie heute nicht. Ein Foto bot mir aber die Möglichkeit, einen Anschein auf Kenntnisse der Anatomie zu vermitteln. Dinge, auf eine mir entsprechende Weise darzustellen, dass können Sie mir glauben, dazu habe ich viel zu lange gebraucht, wie überhaupt ich gestehen muss, ein ziemlicher Spätzünder zu sein. Natürlich gibt es auch das Bild, dass der Schnellzeichner gekonnt liefert. Aber das wollte ich nie! Das Foto gibt mir die nötige Distanz, das Gesamtding ungehindert im Bewusstsein zu halten.
S: Ich habe ja schon nach dem Ort gefragt, weil er nicht nur der Erfindung Raum gibt, sondern nach meinem Eindruck, als unverwechselbarer Ort erhalten bleibt.
K: Wunderbar! Unverwechselbar. Das ist meine Ambition. Einen Ort, einen Schauplatz zu haben, wo man das Gefühl hat, da könnte sich etwas ereignen.
S: Die Personen Ihrer Inszenierungen bleiben, obwohl gemalt, sehr nahe am Foto. Überhöhungen oder Überzeichnungen einzelner Sujets, wie wir sie aus der Malerei kennen, scheinen Sie nicht zu interessieren. Ist es ein Irrtum anzunehmen, dass ein expressiver Gestus Sie nicht interessiert?
K: Sie müssen in Betracht ziehen, dass alleine die Vorbereitung für ein einziges Bild den Zeitrahmen des eigentlichen Malens übersteigen kann. Das heißt: jedes Ding, jedes noch so unwichtige Detail, erhält den von mir eingeräumten Platz. Allein die Dramaturgie des Bildaufbaus, die Komposition der Bildebene sowie die dosierte Verwendung des Farbgebrauchs, erfordert mir zu viel Konzentration, als dass ich mich noch zusätzlich auf einen malerischen Impuls einlassen könnte. Ich wäre schlicht überfordert. Auch scheint mir, dass eine expressive Beschaffenheit für diese Art Malerei nicht geeignet wäre.
S: Es ist ja auch vermutlich so, dass die Protagonisten Ihrer Bilder keine beliebigen Menschen sind und insofern keine weiteren Überzeichnungen des Ausdrucks bedürfen.
K: Ja, natürlich sind sie nicht ganz zufällig auf meinen Bildern, wenngleich sie allesamt engagierte Laien aus dem weiteren Bekanntenkreis bis hin zum kleinen Freundeskreis sind. Da findet sich gelegentlich der Malerkollege, der Rechtsanwalt, der Musikjournalist, das Gogogirl usw. Die einzige Schwierigkeit besteht ja nur darin, den zunächst für alle komischen Zustand zu überwinden um sich einen Moment lang seiner Subjektivität zu entledigen.
S: Die theatralischen Gesten Ihrer Figuren sind für mich wie Chiffren moderner Kommunikation, so als verweisen sie auf Beziehungen zueinander. Wir haben vorher über den Ort als äußeren Anlass gesprochen. Sie haben sich selbst einmal als einen „Filter” zwischen einer äußeren Realität sowie einer entworfenen Realität bezeichnet. Hätten sie etwas einzuwenden, wenn man behauptete, eine weitere mögliche Entsprechung für ihren „Filter” ist der innere Ort?
K: Zweifellos. Diesen inneren Ort, wie sie sagten, den kann ich, den muss ich bestimmen. Ist er einmal bestimmt, bekommen die Figuren ihr Heim.
S: Wie zeigt sich, ob die beiden Orte zusammengebracht wurden?
K: Wenn einer sich selbst gegenüber streng genug ist, dann weiß er bereits nach kürzester Zeit, ob das Bild seinen Weg nimmt oder nicht. Das ist vielleicht so eine Art instinktbezogene Entscheidung. Wissen wann es genug ist, dann gilt es aufzuhören. Man kann es am Geräusch eines Gefäßes beim Einschenken hören. Wenn der Ton heller wird, ist es angebracht, die Angelegenheit besser zu beenden.
S: Dies ist nun unser drittes gemeinsames Gespräch und ich kann völlig wertfrei sagen, Sie haben sich immer verändert. Eines jedoch zog sich wie ein seidener Faden bis zum heutigen Tag: Die Serie. Sie haben oft in Serien gearbeitet. Hängt dies vielleicht damit zusammen, dass Sie jedes Bild in fortwährender Veränderung, in sich verändernden Sequenzen sehen? Mir fällt in diesem Zusammenhang auf, dass ich in unserem ersten Gespräch 1997 bereits eine Parallele zum Film sah, die ich heute in einer noch stärkeren Affinität vorfinde.
K: Es ist wahr, in Serien hab ich oft gearbeitet. Gäbe es nicht dieses Hauptsystem der Malerei, das Einzelbild, welches typisch ist für den individuellen Kapitalismus, also die Einzelwohnung, direkt für den Menschen gemacht, der sich das kauft und hinhängt, gäbe es all diese Strukturen nicht, ich glaube, ich würde mehr in Serien arbeiten. Die Absicht in Serien zu arbeiten, stand jedoch nicht immer am Anfang. Sehen Sie, als ich mit der Arbeit zum Zyklus „The Ideal Crash” begann, trat ich zunächst an, nur ein einziges Bild, jenes der alleinliegenden Frau zu malen.
S: Was hat Sie bewogen, dennoch weitere Bilder zu schaffen?
K: Mein Antrieb war zunächst wie so oft, Glaube und Hoffnung…
S:…es besser machen zu können?
K: Ganz recht, es besser machen zu wollen. So entsteht das zweite, welches sich auf das erste bezieht, das dritte auf die beiden vorangegangenen usw.
S: Können sich noch an die Reihenfolge erinnern?
K: Gewiss, wenngleich sie nicht in der Folge gemalt wurden, wie sie letztlich im Zyklus zu sehen sind. Auf jeden Fall gab es, wie bereits erwähnt, ein Bild, dass sich in mir festsetzte. Das ist sehr seltsam, weil mir natürlich stets den auslösenden Punkt zu erklären einfach unmöglich ist. Jedoch blieb dieses erste Bild als feste Instanz im Bewusstsein. Etwas, das spürte ich, musste ich mit diesem Bild machen, andere Bilder finden, die ihm vorausgehen oder ihm folgen. Das ist so eine Art langwieriges Schlummern, in einem Zustand scheinbarer Ruhe und Gelassenheit, gedeihen die Dinge und bilden allmählich ihren Zusammenhang.
S: Das verblüffende Element in dem vierteiligen Zyklus „The Ideal Crash” ist die konsequente Wiederholung des Bildhintergrundes, die ich bislang nur vom Film oder der Fotografie kannte. Ich erwähnte bereits den filmischen Begriff der „Sequenz” und möchte Sie dennoch direkter befragen, welche Rolle der Film für Sie spielt ?
K: Offen gestanden habe ich wenig Ahnung vom Kino, bin demzufolge auch kein passionierter Cineast. Trotzdem glaube ich, dass Malerei und Film, für mich gesprochen, zwei ganz große Erfindungen sind. Den Film sehe ich der Malerei als mindestens ebenbürtig an, wobei das Kino letztlich ein angenehmer Hort für meine Reise sein kann. Dort versuche ich kleine Utopien zu finden, die mich in Verwunderung setzen können. Die filmische Sequenz, die Sie erwähnten, ist dazu da, den Raum zwar klein zu halten und ihn dennoch nach außen
öffnen wollen. Wie ich überhaupt glaube, dass man nicht weit umherirren muss, um seine Sujets zu finden. Oft sind es ja die kleinen, unauffälligen Dinge, die einem die Größe verbergen.
S: Unweigerlich kommt mir da der Kantsche Lebensentwurf, vor Ort das Auswärtige suchend, in den Sinn…
K: …gar nicht so, weil dieser Entwurf, so wichtig er auch sein mag, nicht wirklich auf einer beteiligten Erfahrung beruht. Nicht weit gehen zu müssen, dass meine ich eher als Durchforsten und Durchstöbern im Kleinen.
S: Verallgemeinernd lässt sich behaupten, dass der Gestus Ihrer jüngsten Bilder von einem Ort gekennzeichnet ist, der eigentlich nicht zu wechseln braucht, solange er anderes entdeckt. Tatsächlich bilden die kaum sich ändernden Handlungsplätze von Bild zu Bild einen reicher werdenden Ort, der eher einer Landschaft in die Tiefe als in die Weite gleicht. Von diesem Ursprung ausgehend, der eher spiralförmig als im Kreis zu sein scheint, bewegt sich der Kosmos Ihrer Bilder. Ihre Bildentwürfe, dass hatten wir bereits festgestellt, bedürfen jedoch Zeit, viel Zeit und scheinen sich somit einem postmodernen Verständnis kontrovers gegenüberzustehen. Ich möchte Sie daher lapidar fragen: Was bedeutet Ihnen Geschwindigkeit ?
K: Sie meinen Postmoderne und ein eher zögerndes Arbeiten stünden im Gegensatz zueinander ?
S: Anders gefragt: Beobachten Sie den unglaublichen Produktionsausstoß einiger Kollegen ?
K: Ah ja, jetzt verstehe ich. Natürlich, bis zu einem gewissen Grad lässt es einen schon nicht unberührt. Man kann zwar diese und jene Mechanismen beobachten, diese akzeptieren oder abwehren. Ohne jedoch eindeutig Stellung zu beziehen, ist man verloren. Wenn ich mich eben als Spätzünder bezeichne, dann daher, daß es zu lang gedauert hat, zu erkennen, dass eine möglichst klare Form meine Bemühung und meine Mühsal und zugleich meine Freude ist.
S: Und das bedenkende Arbeiten vielleicht auch eines ihrer Ideale?
K: Sicher, dieses langsamere, bedächtige Betrachten, das man selbst betreibt, ist sicher eine Idealvorstellung, die dann vermutlich in den eigentlichen Malprozess mit einwirkt.
S: Befassen Sie sich eigentlich mit den Betrachtungsgewohnheiten derjenigen, die Ihre Bilder anschauen?
K: Leider ja und ich glaube, es sind nicht mehr als ungefähr um die dreißig Prozent, die es verstehen, ein Bild zu lesen. Das ist oft sehr entmutigend, vor allem, weil es sehr anstrengend ist, Bilder zu malen. Aber das Malerei im Bewusstsein der meisten Menschen wenig oder gar keine Rolle spielt, dass spürte ich ja eigentlich schon als Anfänger, da brauchte ich demnach auch keine großen Niederlagen einzustecken. Das machte mich schon früh robust.
S: Sie setzen beim Betrachter viel voraus, daher die Frage. Selbst bei solchen Menschen, die glauben, etwas von Kunst zu verstehen, ist Kunst eine Sache des Geschmacks. Haben Sie nicht irgendwann einmal in Erwägung gezogen, eine für viele gefälligere, einfachere Malerei betreiben zu wollen ?
K: Selbstverständlich habe ich darüber nachgedacht, denn nichts ist mir vertrauter als Zweifel. Aber den Glauben an sich und seine Malerei zu verlieren, zugunsten eines Mehrheitsverhältnisses, ist ein hoher Preis, den ich nicht imstande zu zahlen bin. Man muss smart sein, um dies zu leisten, aber mir hat die postmodern-spielerische Ironie, die ich sehr wohl kenne, nicht mehr genügt. Irgendwann hat man Angst, die Liga der großen Maler nie betreten zu dürfen.
S: Aber Sie möchten doch sicher, dass Ihre Bilder Gefallen finden?
K: Im Übrigen möchte ich nicht nur einigen die Augen öffnen, ich möchte sie auch einigen schließen. Sie müssen wissen: zu große Einigkeit ist mir ohnehin suspekt. In der Uneinigkeit liegt irgendwie auch ein Qualitätsbeweis. Das muss nicht zwangsläufig so sein, aber es kann so sein.
S: Sie haben in unserem ersten Gespräch von 1997 erwähnt, „…dass man überzeugend nur das malen könne, wo einem das Herz aufgeht oder im Gegenteil, was einen erzürnt.”
K: …Ja, dass hat damit zu tun.
S: Würden sie sagen, dass die Anzahl ästhetisch sensitiver Menschen heute geringer ist?
K: Das weiß ich nicht. Vermutlich gab es vor hundert Jahren dieselben Probleme. Vor kurzem hatte ich so eine komische Idee, dass die ästhetische Empfindsamkeit einer Gesellschaft, sich an dem Vermögen zu Kleiden ablesen ließe. Das ist sicherlich grober Unsinn und durch nichts zu rechtfertigen, aber schauen Sie sich doch an, was alles gekauft wird. Es ist egal, ob die Kleidung schön oder hässlich ist, Hauptsache es klebt eine Marke drauf, ein Klientel, ohne Sinn für Ästhetik.
S: Als Soziologe ist es für mich einfacher zu behaupten, dass die Menschen heute unkritischer sind als damals, daher mehr von der Reklameaussage gelenkt werden als vom
eigentlichen Produkt. Dennoch würde ich gerne auf jenes Zitat von 1997 zurückkommen, weil in ihm, so meine Auslegung, ein Grundmotiv zum Ausdruck kommt, was ich gern mit dem Begriff der Liebe bezeichnen würde. Aber vielleicht ist dies gar nicht so?
K: Na aber, da hab ich überhaupt gar keinen Widerspruch. Ohne Liebe kann ein jeder im Bett liegen bleiben. Eine inhaltlich noch so bedeutende Angelegenheit kann letztlich formal so bedeutungslos dargestellt sein, wenn sie nicht von innen heraus erlebt wurde. Sie wird niemals ansprechen und niemals Format haben. Ich kenne das natürlich auch, wenn eine Arbeit nur äußerlich gemacht wird, geht das Herz und die Liebe zur Sache verloren.
Andersherum kann eine banale Sache eine unglaubliche Schöpfung hervorrufen. So stand ich kürzlich vor einem späten Ribera und es warf mich nieder durch seine Gewalt. Aus ihm lernte ich mehr über das Leben, über Ökonomie, als aus all ihren Leitsätzen und Transparenten. Das sind Verdichtungen einer inneren Freude ! Kunst ist doch immer Freude, ob ich nun etwas Fröhliches entwickle oder etwas Tragisches darstelle. Das ist ein wichtiger Faktor, das wissen Sie auch.
Jan Siegt ist ein Soziologe. Er lebt und arbeitet in Sindelfingen.
(Quelle: Katalog Aris Kalaizis 'Brancard', 2003)
©Jan Siegt | Aris Kalaizis