Aris Kalaizis

Die wesentlichen Dinge liegen im Verborgenen

Ein von Jan Siegt geführtes Gespräch über Abstrak­tion in der gegen­ständ­lichen Malerei, Kunst und Nichtkunst sow­ie über den Abges­ang von Seri­en­bildern. Dar­in begehrt er gegen den Dekon­struk­tion­szwang der Mod­erne auf.

Aris Kalaizis | Die große Hoffnung | Öl auf Leinwand | 151 x 181 cm | 2002
Aris Kalaizis | Die große Hoffnung | Öl auf Leinwand | 151 x 181 cm | 2002

Siegt: Nach einem gängigen, unter Verehr­ern wie Ver­ächtern gleich­er­maßen ver­breit­eten Vor­ur­teil, betracht­en wir hierzu­lande Malerei unter dem Blick­winkel des ‚Real­is­mus’, als ob ein Bild geradewegs auf eine gegebene Anschauung gegrün­det wer­den kön­nte. Darf ich Sie ohne Umsch­weife bit­ten, etwas über ihr Selb­stver­ständ­nis von Malerei zu berichten. 


Kala­izis: Allein die europäis­che Bildtra­di­tion zeigt, ein­mal ganz abgese­hen von dem abweichenden, plat­ten Real­is­muskonzept des 19.Jahrhunderts, dass Malerei eine erfundene Real­ität ist. Dav­or und danach ist dies immer klar gewesen. Ob man nun fig­ur­at­iv arbeitet oder nicht, Abstrak­tion oder die Fähigkeit zur Abstrak­tion, soll­ten unent­behr­liches Rüstzeug sein.


S: Ich frage, weil das Prob­lem der Reduk­tion, des Aus­s­par­ens und Weglas­sens von zen­t­raler Bedeu­tung ist. Kön­nte man sagen, dass der Prozess der Abstrak­tion, der Ver­ein­fachung dient?


K: Ich glaube schon, wenngleich ich die Rein­heit und Klar­heit des Hin­ter­grundes benötige, um den keineswegs so klar­en Szenari­en ein­en Halt zu geben. Ich benötige die per­spekt­iv­is­che Ord­nung des Raumes, die Interak­tion von Farbe, die den Geb­rauch ein­er strikt begren­zten Palette in sich schließt. 


S: Ließe sich dem­nach behaupten, dass die wahrnehmende Beo­bach­tung ergän­zt wer­den muss, durch eine kon­strukt­ive Einbildungskraft?


K: Ja unbedingt! Jedoch brin­g­en auch Sie in Ihr­er Frage ein allge­meines Miss­ver­ständ­nis zum Aus­druck, als ob zwis­chen Gegen­ständ­lich­keit und Abstrak­tion ein schi­er unüber­brück­barer Gegensatz bestünde. Ein abstraktes Bild kann natür­lich ohne Gegen­ständ­lich­keit aus­kom­men, ein funk­tioni­er­endes gegen­ständ­liches Bild jedoch niemals ohne Abstraktion.


St: Viele Leute hal­ten Abstrak­tion heutzutage für etwas Entrücktes. Gerade so, als bedeute allein der Begriff schon, kein­en Lebens­bezug zu haben, als sei Abstrak­tion in ein­er Sphäre aus­bleibend­er Ver­bind­lich­keiten angesiedelt. Sie sind ander­er Mein­ung und viel­leicht kön­nten Sie das ein wenig erläutern?


K: Erst kürz­lich sah ich in ein­er entset­z­lichen Aus­s­tel­lung ein exem­plar­isches Bild. In jenem Bild, ein­er Malerei, war ein som­mer­lich­er Garten zu sehen. An ein­er stat­t­lichen Anzahl von Bäu­men hin­gen unzäh­lige Äpfel oder Orangen. Vor diesen wie­der­um, etwa in Bild­mitte, war ein Tisch mit ein­i­gen Stüh­len abge­bil­det. An jenem Tisch war ein Spaten gelehnt und auf einem der Stühle befand sich gar eine Rosenschere. Auch trat in jenem Bild ein Mann auf, der fest entschlossen schi­en auf den Betrachter, also auf mich, loszuge­hen. Nicht genug, dass der Kerl eine Fed­er im Hut trug, er trug auch ein­en Akten­kof­fer und aus jenem Kof­fer lugte auch noch der Titel eines Buches, fein gemalt, her­vor. Obwohl dieses Bild in sein­er Aus­führung mit ein­er nicht zu leugn­enden handwerk­lichen Solid­ität gemalt wurde, war es ein schlecht­es Bild.


S: Sie kom­men dem­nach mit einem Gegenbeispiel?


K: Weil in jenem Bilde, und es gibt ja viele dieser let­zt­lich dum­men Bilder, die Dinge nur bes­chrieben wer­den, eins nach dem ander­en, ohne das sich eine Not­wendigkeit auftut. Die Not­wendigkeit ein­iges dar­zus­tel­len, anderes weg­zu­lassen ist eine Frage des Bewusst­seins oder, tech­nis­cher gesprochen, des mensch­lichen Prozessors. Wie gut aber ein Bild ist, dass beur­teile ich an den Zwis­chen­räu­men des schein­bar Bedeut­samen, Vorder­gründi­gen. Der Zwis­chen­raum ist eben­bürtig und beans­prucht dem­nach die gleiche Konzen­tra­tion. Die gleich­wer­tige Aufführung von Din­gen, im Sinne ein­er homo­gen­en Bes­chreibung, möge Sie noch so gut aus­ge­führt sein, ist ermüdend und zeigt, dass der Bildautor im eigen­en Méti­er zu kur­ze Beine hat, weil er nicht imstande ist, in großen Sch­rit­ten zu denken. 


S: Dies hängt ver­mut­lich dam­it zusam­men, dass ein­ige Künst­ler ein Kri­teri­um sehen wollen, welches dem Grad der Ähn­lich­keit ihr­er Abbilder ents­prechen will.


K: Das sehe ich auch so. Dabei ist das Abbilden eine bloße Kun­st­fer­tigkeit, die mein­er Mein­ung noch nichts mit Kunst zu tun hat. Auch bin ich gegen eine Malerei, die ihren Wert nur an der Ken­nbarkeit fest­macht. Ich bin gegen eine Malerei des bereits Vorhanden­en, gegen das Bild­nis, gegen eine unfiltrierte Land­schafts­malerei, wenn Sie so wollen gegen die ges­amte Palette des „som­mer­lichen Gartens”. Wäre es nicht ein geschickter­er Geb­rauch, wenn man den Gegen­stand manip­uli­er­end macht und somit eine andere Situ­ation her­stellt, die etwas irrit­i­er­endes in sich trägt. Ich kann etwas ein­zuwenden haben und gleichzeit­ig so und so viel dav­on genießen. Das ist mein ständiges Opponier­en eben, ein wider­sprüch­liches Suchen nach ein­er Klavi­atur, welche die hohen und die tiefen Töne ver­eint. So wie ich nach mein­er Kind­heit immer eine Lust hatte, jeden, der so ganz bedeu­tend zu reden begin­nt, zu unter­brechen und irgendein­en Schwachsinn zu 
erzäh­len, so hab ich das auch später für mich ben­utzt und in das Malen mit hinüber genommen.

Aris Kalaizis, Feldversuch Acht | Assemblage | 86 x 115 cm | 2003
Aris Kalaizis, Feldversuch Acht | Assemblage | 86 x 115 cm | 2003

S: Ihr Ehrgeiz war es ohne­hin nie, eine nachprüf­bare Real­ität wiederzugeben, son­dern eine Real­ität zu erschaf­fen, die sug­gestiv genug ist, um ihre Über­prü­fung ent­behr­lich zu machen. 
Etwaige Übere­in­stim­mun­gen mit der Wirk­lich­keit ihr­er Schauplätze erschein­en dah­er eher belan­glos. Aber ich möchte den­noch auf Ihre Aus­sage zurück­kom­men, won­ach dem wahren Kunstwerk eine Irrit­a­tion, eine Unfer­tigkeit innewohnt, die jen­seits der Plaus­ib­il­ität und Ver­nun­ft ist. Nun kenne ich Sie ein­ige Zeit und weiß, wie lange Sie an einem Bild labor­i­er­en. Ich will dam­it sagen, dass ein gewis­s­er Per­fek­tion­is­mus sich ja nicht leugnen ließe, aber steht Ihre Behaup­tung von der Unfer­tigkeit eines Werkes, nicht im Gegensatz zu dem Bestreben, ein vollkom­menes Bild zu schaffen?


K: Zun­ächst glaube ich nicht, dass es so etwas wie ein „wahres Kunstwerk” gibt. Es gibt nur Kunst und Nichtkunst. Das abso­lute Kunstwerk ist natür­lich eine reine Illu­sion, wun­derbar und durch nichts zu erreichen. Anstreben soll­te man es dennoch!


S: Man muss es wollen? 


K: Ja, unbedingt ! Man muss es wollen. Wenn man es nicht will, hat man schon ver­loren. Die Zeit ver­lei­ht den Din­gen ihre Korrekturen. 


S: Sie haben eine Absicht, was aber wirk­lich geschieht, entsteht erst beim Arbeiten. Und das, was geschieht, bestim­mt das Weit­ere. Sie sprac­hen vorher von der Gleichberech­ti­gung des Zwis­chen­raumes und ich möchte Sie fra­gen, ob sich behaupten ließe, dass Malerei eine Frage von Gewich­tun­gen inner­halb des Bild­formats sei?


K: Sich­er kann man das nicht als Grundge­setz für jede Malerei gel­tend machen, trotzdem spüre ich die Richtigkeit der Aus­sage. Ja, wenn Sie so wollen, Malerei ist eine Art Gewich­theben ungleich­er For­men und der Maler, ein Machtver­teiler zwis­chen den Kräften Denn mit jeder gemal­ten Form werde ich doch vor neue Fra­gen ges­tellt und habe im Laufe des Prozesses, diese zu beantworten.


S: Beim Betracht­en großer Werke hat man oft den Eindruck, als sei der Künst­ler im Moment des Entstehens, im Zus­tand der Unken­nt­nis gewesen. Alles was er tat, schi­en vom Instinkt getrieben, so als ob der Künst­ler jen­seits der Ver­nun­ft arbeitete. Früh­er haben sie ein­mal erwäh­nt, „…man muss nur warten, bis sich Gott in ein­en hinein versen­kt”. Aber ganz konkret, wo ist eigent­lich der Punkt, an dem Sie entscheiden, wie ein Bild vor­an­getrieben wird?


K: Nun, das ist ein kom­pliz­iert­er, schwi­erig auf ein­en Punkt zu brin­g­ender Prozess. In meinem Falle ist die Entscheidung, wie ein Bild zu beginnen ist, ein dem Malen weit­ge­hend vorgel­a­gert­er Prozess.


S: Sie arbeiten nicht nach Zeich­nun­gen oder Skizzen?


K: Nein, niemals. Oft sind es ja unauffäl­lige Orte die mir ohne­hin ver­traut sind, die irgend­wann ein­mal, wie aus heit­er­em Him­mel den Grundstock, die Fas­sade für die weit­ere Arbeit bilden. Mein Aus­gang­spunkt ist ja nie Vor­fall oder ein Ereignis, son­dern immer ein Ort. Für mich sind die Orte ja die Räume, die Begren­zun­gen, die erst die Ereign­isse hervorbringen.


S: Können Sie ein Beis­piel geben?


K: Woche für Woche ging ich an ein­en der vielen Fab­rikinnen­höfe im Leipzi­ger Süden entlang und empfand zun­ächst nichts Auffäl­liges. Wenn ich ehr­lich bin, fällt es mir auch schwer im Nach­hinein Rechenschaft abzule­gen. Auf jeden Fall muss dieser Hin­ter­grund, den ich im Bild „Die große Hoffnung” weit­erver­arbeitete ein Ini­tial aus­gelöst haben. Ich ima­ginierte jenes Bild in seine Flächen ganz abstrakt, fer­tigte ein Foto und nahm es mit ins Atelier. Ich wusste zu diesem Zeit­punkt noch nicht, wie es weit­erge­hen würde.


S: Dann haben Sie auf eine Kon­struk­tion gewartet?


K: Nein, nicht gewar­tet. Die wird herges­tellt. Nur ist dies ein wirk­lich lang­wi­eriges kon­stru­ier­en. Dann gehe ich eher wie ein Regis­seur bei der Aus­arbei­tung ein­er Momen­tauf­nahme her­an mit dem Wis­sen, dass ein Ver­trauen da ist, dass sich im Malen Erken­nt­n­isse ergeben, an die man im Vor­satz über­haupt nicht gedacht hat. 
Es sind ja immer zwei Dinge, Kon­struk­tion und Hoffnung, dass sich das Ziel­b­ild in der Arbeit über ein­en Umweg ergibt. Da gibt es natür­lich Weg­zeichen, da hab ich mich veri­r­rt und bin irgend­wo hingekom­men, wohin ich gar nicht woll­te. Aber eins weiß ich mit­tler­weile auch, dass man sich ohne die bekan­nten Struk­turen nicht auf den Weg machen kann.

Aris Kalaizis, Feldversuch Drei | Assemblage | 86 x 115 cm | 2003
Aris Kalaizis, Feldversuch Drei | Assemblage | 86 x 115 cm | 2003

S: Eben woll­te ich nach der Not­wendigkeit von Foto­grafi­en fra­gen, aber das brauche ich jet­zt nicht mehr. Sie rein­i­gen also den Ort, machen ihn bege­hbar und somit zum bewohn­bar­en Ort. Trotzdem hat es den Anschein, als sei­en Ihre Orte, Szenari­en ein­er unheim­lichen Heimat. Die Präzi­sion der Aus­führung ver­leitet dazu, sich schein­bar sich­er zu füh­len. Später erst spürt man das unsichere Fun­da­ment, indem es zu wack­eln begin­nt. Sie machen zwei Sch­ritte vor­an und ein­en zurück…


K: …zur Seite. Aber ich würde trotzdem zun­ächst auf die von Ihnen zurück­gezo­gene Frage, war­um Foto­grafie, zurück­kom­men. Foto­grafie war mir bereits vor Antritt meines Stu­di­ums eine Mög­lich­keit, meine Malerei zu ver­wirk­lichen. Ich ver­wen­dete Foto­grafi­en bereits sehr früh, zun­ächst gar nicht als Konzept, son­dern aus Gründen der Unvollkom­men­heit. Ich besuchte eigens die hiesige Schule und erlernte den Beruf des Fotolabor­anten, und um meinem Unver­mö­gen zu begegnen, schuf ich let­zt­lich meine eigen­en Abzüge. Die Ana­tomie eines Hundes kan­nte ich dam­als wie heute nicht. Ein Foto bot mir aber die Mög­lich­keit, ein­en Anschein auf Ken­nt­n­isse der Ana­tomie zu ver­mit­teln. Dinge, auf eine mir ents­prechende Weise dar­zus­tel­len, dass können Sie mir glauben, dazu habe ich viel zu lange geb­raucht, wie über­haupt ich gestehen muss, ein ziem­lich­er Spätzünder zu sein. Natür­lich gibt es auch das Bild, dass der Schnellzeich­ner gekon­nt liefert. Aber das woll­te ich nie! Das Foto gibt mir die nötige Dis­tanz, das Ges­amtding unge­hindert im Bewusst­sein zu halten.


S: Ich habe ja schon nach dem Ort gefragt, weil er nicht nur der Erfind­ung Raum gibt, son­dern nach meinem Eindruck, als unver­wech­sel­barer Ort erhal­ten bleibt. 


K: Wun­derbar! Unver­wech­sel­bar. Das ist meine Ambi­tion. Ein­en Ort, ein­en Schauplatz zu haben, wo man das Gefühl hat, da kön­nte sich etwas ereignen.


S: Die Per­son­en Ihr­er Inszen­ier­ungen bleiben, obwohl gemalt, sehr nahe am Foto. Über­höhun­gen oder Überzeich­nun­gen ein­zel­ner Sujets, wie wir sie aus der Malerei kennen, schein­en Sie nicht zu interessier­en. Ist es ein Irrtum anzun­eh­men, dass ein express­iver Ges­tus Sie nicht interessiert?


K: Sie müssen in Betracht ziehen, dass alleine die Vorbereit­ung für ein ein­ziges Bild den Zeitrah­men des eigent­lichen Malens über­steigen kann. Das heißt: jedes Ding, jedes noch so unwichtige Detail, erhält den von mir einger­äumten Platz. Allein die Dram­at­ur­gie des Bildauf­baus, die Kom­pos­i­tion der Bildebene sow­ie die dosierte Ver­wendung des Far­bgeb­rauchs, erfordert mir zu viel Konzen­tra­tion, als dass ich mich noch zusätz­lich auf ein­en malerischen Impuls ein­lassen kön­nte. Ich wäre sch­licht über­fordert. Auch scheint mir, dass eine express­ive Beschaf­fen­heit für diese Art Malerei nicht geeignet wäre.


S: Es ist ja auch ver­mut­lich so, dass die Prot­ag­on­isten Ihr­er Bilder keine beliebi­gen Menschen sind und insofern keine weit­er­en Überzeich­nun­gen des Aus­drucks bedürfen. 


K: Ja, natür­lich sind sie nicht ganz zufäl­lig auf mein­en Bildern, wenngleich sie alles­amt enga­gierte Laien aus dem weit­er­en Bekan­nten­kre­is bis hin zum klein­en Fre­un­deskre­is sind. Da fin­d­et sich gele­gent­lich der Malerkollege, der Recht­san­walt, der Musik­journ­al­ist, das Gogo­girl usw. Die ein­zige Schwi­erigkeit besteht ja nur dar­in, den zun­ächst für alle komis­chen Zus­tand zu über­winden um sich ein­en Moment lang sein­er Sub­jekt­iv­ität zu entledigen.


S: Die theat­ral­is­chen Gesten Ihr­er Fig­uren sind für mich wie Chif­fren mod­ern­er Kom­munika­tion, so als ver­weis­en sie auf Bez­iehun­gen zuein­ander. Wir haben vorher über den Ort als äußer­en Anlass gesprochen. Sie haben sich selbst ein­mal als ein­en „Fil­ter” zwis­chen ein­er äußer­en Real­ität sow­ie ein­er ent­wor­fen­en Real­ität bezeich­net. Hät­ten sie etwas ein­zuwenden, wenn man behaup­tete, eine weit­ere mög­liche Ents­prechung für ihren „Fil­ter” ist der innere Ort?


K: Zweifel­los. Diesen inner­en Ort, wie sie sagten, den kann ich, den muss ich bestim­men. Ist er ein­mal bestim­mt, bekom­men die Fig­uren ihr Heim.


S: Wie zeigt sich, ob die beiden Orte zusam­menge­b­racht wurden?


K: Wenn ein­er sich selbst gegenüber streng genug ist, dann weiß er bereits nach kürzester Zeit, ob das Bild sein­en Weg nim­mt oder nicht. Das ist viel­leicht so eine Art instinkt­bezo­gene Entscheidung. Wis­sen wann es genug ist, dann gilt es aufzuhören. Man kann es am Ger­äusch eines Gefäßes beim Einsch­en­ken hören. Wenn der Ton heller wird, ist es ange­b­racht, die Angele­gen­heit bess­er zu beenden. 


S: Dies ist nun unser drittes gemein­sames Gespräch und ich kann völ­lig wert­frei sagen, Sie haben sich immer ver­ändert. Eines jedoch zog sich wie ein seiden­er Faden bis zum heut­i­gen Tag: Die Serie. Sie haben oft in Seri­en gearbeitet. Hängt dies viel­leicht dam­it zusam­men, dass Sie jedes Bild in fortwährender Ver­än­der­ung, in sich ver­ändernden Sequen­zen sehen? Mir fällt in diesem Zusam­men­hang auf, dass ich in unser­em ersten Gespräch 1997 bereits eine Par­al­lele zum Film sah, die ich heute in ein­er noch stärker­en Affin­ität vorfinde.


K: Es ist wahr, in Seri­en hab ich oft gearbeitet. Gäbe es nicht dieses Hauptsys­tem der Malerei, das Ein­zel­b­ild, welches typisch ist für den indi­vidu­el­len Kapit­al­is­mus, also die Ein­zel­wohnung, direkt für den Menschen gemacht, der sich das kauft und hin­hängt, gäbe es all diese Struk­turen nicht, ich glaube, ich würde mehr in Seri­en arbeiten. Die Absicht in Seri­en zu arbeiten, stand jedoch nicht immer am Anfang. Sehen Sie, als ich mit der Arbeit zum Zyklus „The Ideal Crash” begann, trat ich zun­ächst an, nur ein ein­ziges Bild, jenes der allein­lie­genden Frau zu malen.


S: Was hat Sie bewo­gen, den­noch weit­ere Bilder zu schaffen?


K: Mein Antrieb war zun­ächst wie so oft, Glaube und Hoffnung… 


S:…es bess­er machen zu können?


K: Ganz recht, es bess­er machen zu wollen. So entsteht das zweite, welches sich auf das erste bez­ieht, das dritte auf die beiden vor­angegan­gen­en usw.


S: Können sich noch an die Reihen­folge erinnern?


K: Gewiss, wenngleich sie nicht in der Folge gemalt wur­den, wie sie let­zt­lich im Zyklus zu sehen sind. Auf jeden Fall gab es, wie bereits erwäh­nt, ein Bild, dass sich in mir fest­set­zte. Das ist sehr selt­sam, weil mir natür­lich stets den aus­lösenden Punkt zu erklären ein­fach unmög­lich ist. Jedoch blieb dieses erste Bild als feste Instanz im Bewusst­sein. Etwas, das spürte ich, musste ich mit diesem Bild machen, andere Bilder find­en, die ihm voraus­ge­hen oder ihm fol­gen. Das ist so eine Art lang­wi­eriges Schlum­mern, in einem Zus­tand schein­barer Ruhe und Gelassen­heit, gedei­hen die Dinge und bilden all­mäh­lich ihren Zusammenhang.


S: Das verblüf­fende Ele­ment in dem vier­teili­gen Zyklus „The Ideal Crash” ist die kon­sequente Wieder­holung des Bild­h­in­ter­grundes, die ich bis­lang nur vom Film oder der Foto­grafie kan­nte. Ich erwäh­nte bereits den filmis­chen Begriff der „Sequenz” und möchte Sie den­noch direk­ter befra­gen, welche Rolle der Film für Sie spielt ?


K: Offen gest­anden habe ich wenig Ahnung vom Kino, bin demzufolge auch kein pas­sioniert­er Cine­ast. Trotzdem glaube ich, dass Malerei und Film, für mich gesprochen, zwei ganz große Erfind­un­gen sind. Den Film sehe ich der Malerei als mindes­tens eben­bürtig an, wobei das Kino let­zt­lich ein angenehmer Hort für meine Reise sein kann. Dort ver­suche ich kleine Utopi­en zu find­en, die mich in Ver­wun­der­ung set­zen können. Die filmis­che Sequenz, die Sie erwäh­nten, ist dazu da, den Raum zwar klein zu hal­ten und ihn den­noch nach außen 
öffn­en wollen. Wie ich über­haupt glaube, dass man nicht weit umheri­r­ren muss, um seine Sujets zu find­en. Oft sind es ja die klein­en, unauffäl­li­gen Dinge, die einem die Größe verbergen.


S: Unwei­ger­lich kom­mt mir da der Kantsche Lebensent­wurf, vor Ort das Aus­wärtige suchend, in den Sinn…


K: …gar nicht so, weil dieser Entwurf, so wichtig er auch sein mag, nicht wirk­lich auf ein­er beteiligten Erfahrung ber­uht. Nicht weit gehen zu müssen, dass meine ich eher als Durch­for­sten und Durch­stöbern im Kleinen.


S: Ver­allge­mein­ernd lässt sich behaupten, dass der Ges­tus Ihr­er jüng­sten Bilder von einem Ort gek­en­nzeich­net ist, der eigent­lich nicht zu wech­seln braucht, solange er anderes ent­deckt. Tat­säch­lich bilden die kaum sich ändernden Hand­lung­s­plätze von Bild zu Bild ein­en reich­er wer­denden Ort, der eher ein­er Land­schaft in die Tiefe als in die Weite gleicht. Von diesem Ursprung aus­ge­hend, der eher spir­alför­mig als im Kre­is zu sein scheint, bewegt sich der Kos­mos Ihr­er Bilder. Ihre Bildent­würfe, dass hat­ten wir bereits fest­ges­tellt, bedür­fen jedoch Zeit, viel Zeit und schein­en sich somit einem post­mo­d­ernen Ver­ständ­nis kon­tro­vers gegenüberzustehen. Ich möchte Sie dah­er lap­id­ar fra­gen: Was bedeutet Ihnen Geschwindigkeit ?


K: Sie mein­en Post­mo­d­erne und ein eher zögerndes Arbeiten stünden im Gegensatz zueinander ?


S: Anders gefragt: Beo­bacht­en Sie den unglaub­lichen Produk­tion­sausstoß ein­i­ger Kollegen ?


K: Ah ja, jet­zt ver­stehe ich. Natür­lich, bis zu einem gewis­sen Grad lässt es ein­en schon nicht unber­ührt. Man kann zwar diese und jene Mech­an­is­men beo­bacht­en, diese akzep­tier­en oder abwehren. Ohne jedoch eindeut­ig Stel­lung zu bez­iehen, ist man ver­loren. Wenn ich mich eben als Spätzünder bezeichne, dann dah­er, daß es zu lang gedauert hat, zu erkennen, dass eine mög­lichst klare Form meine Bemühung und meine Müh­sal und zugleich meine Freude ist.


S: Und das beden­kende Arbeiten viel­leicht auch eines ihr­er Ideale?


K: Sich­er, dieses lang­samere, bedächtige Betracht­en, das man selbst betreibt, ist sich­er eine Idealvor­stel­lung, die dann ver­mut­lich in den eigent­lichen Mal­prozess mit einwirkt.


S: Befassen Sie sich eigent­lich mit den Betrach­tungs­ge­wohnheiten derjeni­gen, die Ihre Bilder anschauen?


K: Leider ja und ich glaube, es sind nicht mehr als unge­fähr um die dreißig Prozent, die es ver­stehen, ein Bild zu lesen. Das ist oft sehr ent­muti­gend, vor allem, weil es sehr anstrengend ist, Bilder zu malen. Aber das Malerei im Bewusst­sein der meisten Menschen wenig oder gar keine Rolle spielt, dass spürte ich ja eigent­lich schon als Anfänger, da brauchte ich dem­nach auch keine großen Nieder­la­gen ein­zusteck­en. Das machte mich schon früh robust.


S: Sie set­zen beim Betrachter viel voraus, dah­er die Frage. Selbst bei sol­chen Menschen, die glauben, etwas von Kunst zu ver­stehen, ist Kunst eine Sache des Geschmacks. Haben Sie nicht irgend­wann ein­mal in Erwä­gung gezo­gen, eine für viele gefäl­li­gere, ein­fachere Malerei betreiben zu wollen ?


K: Selb­stver­ständ­lich habe ich darüber nachgedacht, denn nichts ist mir ver­traut­er als Zweifel. Aber den Glauben an sich und seine Malerei zu ver­lier­en, zugun­sten eines Mehrheits­ver­hält­n­isses, ist ein hoher Pre­is, den ich nicht imstande zu zah­len bin. Man muss smart sein, um dies zu leisten, aber mir hat die post­mod­ern-spiel­erische Ironie, die ich sehr wohl kenne, nicht mehr genügt. Irgend­wann hat man Angst, die Liga der großen Maler nie betre­ten zu dürfen.


S: Aber Sie möcht­en doch sich­er, dass Ihre Bilder Gefallen finden?


K: Im Übri­gen möchte ich nicht nur ein­i­gen die Augen öffn­en, ich möchte sie auch ein­i­gen schließen. Sie müssen wis­sen: zu große Ein­igkeit ist mir ohne­hin sus­pekt. In der Unein­igkeit liegt irgend­wie auch ein Qual­itäts­be­weis. Das muss nicht zwangsläufig so sein, aber es kann so sein.


S: Sie haben in unser­em ersten Gespräch von 1997 erwäh­nt, „…dass man überzeu­gend nur das malen könne, wo einem das Herz aufge­ht oder im Gegen­teil, was ein­en erzürnt.”


K: …Ja, dass hat dam­it zu tun. 


S: Würden sie sagen, dass die Anzahl ästhet­isch sens­it­iver Menschen heute geringer ist?


K: Das weiß ich nicht. Ver­mut­lich gab es vor hun­dert Jahren dies­el­ben Prob­leme. Vor kur­zem hatte ich so eine komis­che Idee, dass die ästhet­ische Empfind­samkeit ein­er Gesell­schaft, sich an dem Ver­mö­gen zu Kleiden ablesen ließe. Das ist sicher­lich grober Unsinn und durch nichts zu recht­fer­ti­gen, aber schauen Sie sich doch an, was alles gekauft wird. Es ist egal, ob die Kleidung schön oder häss­lich ist, Hauptsache es klebt eine Marke drauf, ein Kli­en­tel, ohne Sinn für Ästhetik.


S: Als Sozi­ologe ist es für mich ein­fach­er zu behaupten, dass die Menschen heute unkrit­ischer sind als dam­als, dah­er mehr von der Reklameaus­sage gelen­kt wer­den als vom 
eigent­lichen Produkt. Den­noch würde ich gerne auf jenes Zit­at von 1997 zurück­kom­men, weil in ihm, so meine Aus­le­gung, ein Grundmotiv zum Aus­druck kom­mt, was ich gern mit dem Begriff der Liebe bezeichnen würde. Aber viel­leicht ist dies gar nicht so? 


K: Na aber, da hab ich über­haupt gar kein­en Wider­spruch. Ohne Liebe kann ein jeder im Bett lie­gen bleiben. Eine inhalt­lich noch so bedeu­tende Angele­gen­heit kann let­zt­lich form­al so bedeu­tungslos darges­tellt sein, wenn sie nicht von innen heraus erlebt wurde. Sie wird niemals ans­prechen und niemals Format haben. Ich kenne das natür­lich auch, wenn eine Arbeit nur äußer­lich gemacht wird, geht das Herz und die Liebe zur Sache verloren. 
Ander­sher­um kann eine banale Sache eine unglaub­liche Schöp­fung her­vor­rufen. So stand ich kürz­lich vor einem späten Rib­era und es warf mich nieder durch seine Gewalt. Aus ihm lernte ich mehr über das Leben, über Öko­nomie, als aus all ihren Leit­sätzen und Trans­par­en­ten. Das sind Ver­di­ch­tun­gen ein­er inner­en Freude ! Kunst ist doch immer Freude, ob ich nun etwas Fröh­liches entwickle oder etwas Tra­gisches darstelle. Das ist ein wichti­ger Fak­t­or, das wis­sen Sie auch.


Jan Siegt ist ein Sozi­ologe. Er lebt und arbeitet in Sindelfingen.


(Quelle: Kata­log Aris Kala­izis 'Brancard', 2003)


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